Hades
Astoria abgestiegen wären, hätte es für sie nicht wirklich einen Unterschied gemacht.
«Ich geh erst mal duschen», sagte Ivy, griff nach ihrem Waschbeutel und verschwand im Bad. Molly sah ihr nach, biss sich auf die Lippen und trat nervös von einem Fuß auf den anderen. Gabriel beobachtete sie mit seinen klaren Augen geduldig. Sie erinnerten mich an einen Schneesturm – hell und blass und so tief, dass man sich leicht darin verlieren konnte. Er zog seine Jacke aus und hängte sie über die Stuhllehne. Molly konnte sich von seinem Anblick gar nicht mehr losreißen: von seinem engen weißen T-Shirt, das seine perfekte Figur betonte, seinem muskulösen Oberkörper und von seiner starken Brust, über die sich der Stoff spannte. Er wirkte übermenschlich, als ob er ohne Probleme ein ganzes Auto hochheben könnte. Was vermutlich daran lag, dass er es könnte, wenn die Situation es erforderte.
Im Badezimmer hörte man das Wasser durch die alten Leitungen rauschen, und Molly nutzte die Gelegenheit, ein Gespräch zu beginnen.
«Ist mit Ivy alles in Ordnung?», fragte sie ungeschickt. Es war offensichtlich, dass sie eigentlich nicht über Ivy sprechen wollte, ihr aber keine elegantere Eröffnung eingefallen war.
«Ivy ist ein Seraph», antwortete Gabriel, als ob das alles erklärte.
«Ja», sagte Molly. «Weiß ich. Das ist ziemlich cool, oder?»
«Ja», sagte Gabriel langsam. «Es ist cool .»
Offensichtlich ermutigt von dieser Antwort, drückte sich Molly langsam weiter ins Zimmer und ließ sich auf das Bett fallen, wobei sie vorgab, ihre Fingernägel zu betrachten. Gabriel lehnte ihr gegenüber am Türrahmen. Wenn er ein Mensch gewesen wäre, hätte er verlegen gewirkt, sich unbehaglich gefühlt, aber er ruhte in jeglicher Hinsicht in sich. Egal wo er sich befand, stets machte er einen so selbstbewussten Eindruck, als ob er schon immer dort gewesen wäre. Jetzt hatte er die Hände hinter dem Rücken gefaltet und den Kopf seitlich gebeugt, als lausche er einer stummen Melodie in seinem Inneren. Er schien gedanklich weit von Molly entfernt zu sein, wartete aber mit Sicherheit darauf, dass sie etwas sagte. Vermutlich konnte er hören, wie schnell ihr Herz schlug, die Schweißperlen auf ihren Handflächen riechen und sogar ihre Gedanken lesen, wenn er wollte.
Molly zwinkerte nervös. «Sie waren toll vorhin», sagte sie schließlich.
Überrascht von diesem Kompliment sah Gabriel sie an. «Ich habe nur meine Arbeit gemacht», antwortete er mit seiner tiefen, unwiderstehlichen Stimme.
Ich konnte Molly im Gesicht ansehen, dass seine Stimme mehr in ihr auslöste, als ich nachvollziehen konnte. Jedes Wort, das er sprach, schien eine körperliche Wirkung auf sie zu haben. Sie begann leicht zu zittern und schlang die Arme um sich.
«Ist dir kalt?», fragte mein Bruder. Ohne auf ihre Antwort zu warten, nahm er ritterlich seine Jacke vom Stuhl und legte sie ihr um die Schultern. Diese aufmerksame Geste schien Molly so zu berühren, dass sie gegen die Tränen ankämpfen musste.
«Doch, wirklich», beharrte sie. «Ich habe Sie schon immer für etwas Besonderes gehalten, aber das heute war eine andere Nummer. Als wären Sie nicht von dieser Welt.»
«Das liegt daran, dass ich nicht von dieser Welt bin, Molly», antwortete Gabriel schlicht.
«Aber Sie haben doch eine Verbindung zu uns, oder?», fragte Molly drängend. «Zu den Menschen, meine ich. Zum Beispiel zu Xavier und mir.»
«Es ist meine Aufgabe, Menschen wie Xavier und dich zu beschützen. Mein Wunsch ist, dass ihr glücklich und gesund seid …»
«Das meine ich nicht», unterbrach Molly ihn.
«Was meinst du denn dann?» Er sah sie mit durchdringendem Blick an, als versuche er ihre Logik zu verstehen.
«Ich glaube einfach nur, dass Sie sich nach mehr sehnen. In den letzten Tagen habe ich gespürt, dass Sie … vielleicht … spüren, dass …»
Ich sprang aufs Bett, kniete mich neben Molly und versuchte ihr eine Warnung zu übermitteln, aber sie war von Gabriels Anwesenheit so eingenommen, dass sie mich nicht bemerkte:
Nein, Molly, lass das. Du bist doch klug. Denk nach. Gabriel ist nicht der, den du dir wünschst. Du bist dabei, einen großen Fehler zu machen. Du glaubst nur, ihn zu kennen. Du bildest dir ein, dass da mehr ist, als wirklich ist. Wenn du jetzt verletzt wirst, macht das nur noch alles schlimmer. Sprich zuerst mit Xavier. Warte noch ab – du bist müde. Molly, hör mir zu!
Gabriel drehte langsam den Kopf zu ihr und sah sie an. Die
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