Hades
zum See.»
Molly packte mich beruhigend an der Schulter, wohl auch, um mich zu bremsen.
«Beruhige dich, Beth», sagte sie. «Kann sie jemand fahren?»
«Blödsinn, Molly, der See liegt mitten im Wald», sagte Ben. «Da kommt man nicht mit dem Auto hin. Los jetzt, einer von uns muss in die Stadt fahren und den verdammten Krankenwagen rufen.»
Ich hielt ihre unsinnige Diskussion keine Sekunde länger aus. Xavier war verletzt, und meine heilenden Kräfte konnten ihm helfen.
«Ich gehe jetzt», verkündete ich und rannte los.
«Warte! Ich bring dich mit dem Motorrad hin!» Wesley schien wieder zu seiner Rolle als besorgter Freund zurückgefunden zu haben. «Das geht schneller, als wenn du im Dunkeln herumläufst», fügte er hinzu. Sicher war ihm klar, dass seine Mitschuld an dem Unfall nicht dadurch wiedergutzumachen war, dass er mir eine Mitfahrgelegenheit anbot.
«Nein», sagte Molly beschützend. «Du solltest lieber hierbleiben, während wir einen Arzt holen.»
«Warum rufen wir nicht seine Eltern?», fragte jemand. «Die sind doch beide Ärzte?»
«Stimmt. Beth, du hast doch sicher die Nummer.»
«Mr. und Mrs. Woods sind cool, die zeigen uns bestimmt nicht an.»
Ich kämpfte verzweifelt gegen den Drang an, meine Flügel zu entfalten, um mich von ihnen zu Xavier tragen zu lassen. Das war die natürliche Reaktion meines Körpers, und ich wusste nicht, wie lange ich mich noch zurückhalten konnte. Ich sah Wesley ungeduldig an.
«Worauf warten wir?»
Statt einer Antwort stieg er auf das Motorrad und reichte mir seinen Arm, damit ich mich hinter ihn quetschen konnte. Im Mondlicht glänzte das blitzende Motorrad wie ein außerirdisches Insekt.
«Hey! Braucht ihr keinen Helm?», rief Ben, als Wesley das Motorrad anließ. Er hasste Sportler und ihre wagemutigen Aktionen, und sein Blick sagte mir, dass er sich außerdem auch Sorgen um mich machte – Wesley wirkte im Moment nicht gerade verantwortungsbewusst. Ich wusste Bens Besorgnis zu schätzen, aber es war der falsche Augenblick – für mich galt jetzt nur eins: möglichst schnell zu Xavier zu gelangen.
«Keine Zeit», antwortete Wesley kurz angebunden und wies mich an, die Arme um seine Taille zu legen.
«Halt dich gut fest», sagte er. «Und was auch immer passiert, lass auf keinen Fall los.»
Er wendete, fuhr die Auffahrt herunter und bog dann auf die Hauptstraße ein, die sich lang und schwarz wie ein Trauerflor vor uns ausbreitete.
«Liegt der See nicht in der anderen Richtung?», rief ich über das Dröhnen des Motors hinweg.
«Abkürzung!», brüllte Wesley zurück.
Ich versuchte, mit Xavier in Kontakt zu treten, um das Ausmaß seiner Verletzungen zu erspüren, doch es gelang mir nicht. Das wunderte mich, denn normalerweise wusste ich schon vor ihm selbst, was er fühlte. Außerdem hatte mir Gabriel gesagt, dass ich sofort spüren würde, wenn Xavier in Gefahr war. Jetzt spürte ich nichts. Lag es daran, dass mich die lächerliche Séance so mitgenommen hatte?
Wir waren gerade dabei zu beschleunigen, als hinter uns jemand meinen Namen rief. Sogar über den Lärm des Motorrads hinweg erkannte ich die Stimme als die, die ich mehr liebte als alles andere auf der Welt. Es war die Stimme, nach der ich mich den ganzen Abend gesehnt hatte. Sofort war ich wie neugeboren. Wesley riss das Motorrad herum, und da stand Xavier am Straßenrand, vom Mondlicht beschienen. Mein Herz machte einen Sprung. Er sah vollkommen unversehrt aus.
«Beth?», wiederholte er zaghaft. Er stand nur wenige Meter von uns entfernt, und meine Freude darüber war so groß, dass mir gar nicht der Gedanke kam, irgendetwas daran könnte faul sein. Ebenso wenig fragte ich mich, warum Xavier so überrascht war, uns zu sehen.
«Wohin wollt ihr?», fragte er. «Und, Wesley, woher zum Teufel hast du das Bike?»
«Xavier!», rief ich erleichtert. «Gott sei Dank, du lebst! Wie geht es deinem Kopf? Wir haben uns alle solche Sorgen um dich gemacht. Schnell, wir müssen zurück und ihnen sagen, dass alles in Ordnung ist.»
«Mein Kopf?», fragte er und wirkte immer verwirrter. «Wovon redest du?»
«Von deinem Unfall! Vielleicht hast du eine Gehirnerschütterung. Wesley, lass mich absteigen.»
«Beth, es geht mir gut.» Xavier kratzte sich am Kopf. «Mir ist nichts passiert.»
«Aber ich dachte …», begann ich und hielt im selben Moment inne. Xavier wirkte nicht nur völlig gesund, er hatte auch nicht die kleinste Spur einer Verletzung. Er trug Jeans und das enge schwarze
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