Hades
die Küche, froh, dass dort unschuldigere Halloween-Späße im Gange waren. Einige Gäste versuchten abwechselnd, Äpfel mit dem Mund aus einem Blecheimer zu heben, die sie aus der Scheune geholt und in die Zimmermitte gestellt hatten. Gerade kniete ein Mädchen vor der Schüssel und holte tief Luft, bevor sie ihr Gesicht ins Wasser steckte. Die Zuschauer feuerten sie an. Als sie wieder auf den Füßen stand, klebte ihr zwar das dunkle Haar nass am Hals und an den Schultern, aber zwischen den Zähnen hielt sie triumphierend einen roten Apfel.
Plötzlich schob mich jemand nach vorne. Ich hatte mich unabsichtlich in die Warteschlange eingereiht.
«Du bist dran.» Ich spürte die erhitzten Körper um mich herum und presste meine Absätze fest in den Boden. «Ich will gar nicht mitmachen. Ich habe nur zugeschaut.»
«Ach komm», drängten mich die Stimmen. «Zier dich nicht so.»
Ich beschloss, dass es einfacher war, den Apfel herauszuholen, als mich gegen sie und ihre Begeisterung zu wehren. Obwohl eine Stimme in meinem Kopf sagte, dass ich lieber so schnell wie möglich von hier verschwinden sollte, hockte ich mich hin und starrte auf mein verzerrtes Spiegelbild im Wasser. Dann schloss ich die Augen und kämpfte gegen die Warnungen an, die in meinem Inneren tobten. Als ich sie wieder öffnete, setzte mein Herz für einen Moment aus. Da war etwas im Wasser. Hinter meinem Spiegelbild glitzerte verschwommen ein abgemagertes Gesicht, dessen skelettartige Züge unter einem großen Hut versteckt waren. Mit einer seiner gebogenen, klauenartigen Hände umklammerte es etwas. Eine Sichel? Die freie Hand streckte sich mir entgegen, und es sah aus, als wollten sich seine unnatürlich langen Finger wie Tentakel um meinen Hals legen. Ich wusste, dass es eigentlich unmöglich war, aber die Gestalt wirkte vertraut. Diesen schwarzen, kultartigen Umhang hatte ich schon in Büchern und auf Abbildungen gesehen, und auch von meiner Lehrzeit zu Hause war er mir bekannt. Es war der Repräsentant des Todes – der Sensenmann. Aber was wollte er von mir? Anhaben konnte er mir nichts, also musste er aus einem anderen Grund hier sein. War es ein Omen? Aber wenn ja, wofür? Panisch drängte ich mich durch den Kreis der Zuschauer und rannte zur Hintertür.
Die Protestrufe, weil ich einfach getürmt war, statt mitzumachen, verfolgten mich bis ins Freie. Ich ignorierte sie und legte mir beruhigend die Hand auf die Brust. Würde sich mein Herzschlag je wieder normalisieren? Die kühle Luft half ein bisschen, aber das Gefühl, dass der Phantom-Sensenmann mir gefolgt war und neben mir hockte, ließ sich nicht abschütteln. Vielleicht hoffte er darauf, mich alleine zu erwischen und meinen Hals mit seinen dürren Händen zu umklammern …
«Beth, was machst du denn hier draußen? Alles okay?»
Ich hörte ein seltsames Geräusch, und es dauerte einen Moment, bis ich begriff, dass es von mir ausging. Mein Atem ging hektisch, lang und keuchend. Die Stimme war mir vertraut, gehörte aber nicht, wie ich zunächst gehofft hatte, Xavier. Ben Carter trat auf die Veranda und schüttelte mich sanft, als ob er mich aus einer Trance herausreißen wollte. Durch diesen menschlichen Kontakt fühlte ich mich tatsächlich ein bisschen besser.
«Beth, was ist denn los? Das klang, als wärst du kurz vorm Ersticken.» Ben sah mich aus seinen braunen Augen an, die wie gewohnt hinter seinem ungekämmten Haar verborgen waren. Ich versuchte, ruhig zu atmen, aber es gelang mir nicht. Stattdessen fiel ich nach vorn über. Hätte Ben mich nicht aufgefangen, wäre ich mit dem Gesicht auf den Boden geknallt. Vermutlich dachte er jetzt, dass ich kurz vor dem Erstickungstod war.
«Was zum Teufel ist los mit dir?», fragte er, nachdem er sich versichert hatte, dass ich doch nicht starb. Er starrte mich an, und ich sah, wie ihm etwas dämmerte. «Hast du getrunken?»
In einem ersten Impuls wollte ich vehement gegen eine solche Anschuldigung protestieren, aber dann erkannte ich, dass er mir damit die wahrscheinlich beste Erklärung für mein unkontrolliertes Verhalten lieferte.
«Schon möglich», sagte ich, löste mich aus seinem Griff und versuchte, auf eigenen Füßen zu stehen. Während ich einen Schritt von Ben zurücktrat, kämpfte ich gegen die aufsteigenden Tränen an. «Danke für deine Hilfe», sagte ich hastig. «Es geht mir gut. Ehrlich.»
In meinem Kopf hallte laut und deutlich ein einzige Frage wider: Wo war Xavier? Irgendetwas stimmte hier nicht, das fühlte
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