Hades
T-Shirt und sah noch genauso aus wie vorhin. Plötzlich, kaum merklich, nahm er eine wachsame Haltung an. Seine meerblauen Augen verdunkelten sich, als ihm etwas zu dämmern schien.
«Beth», sagte er langsam, «steig sofort von diesem Motorrad.»
«Wesley?» Ich tippte ihm sanft auf die Schulter. Wieso war er eigentlich so still? Das Motorrad vibrierte unter mir, und mein Fahrer starrte bewegungslos vor sich hin.
Xavier versuchte, einen Schritt auf uns zuzumachen, aber irgendetwas schien ihn daran zu hindern. Mit ruhiger Stimme, aber mit drängendem Unterton, sagte er: «Beth, hast du mich gehört? Steig sofort ab! Jetzt! »
Ich stellte zu Xaviers Beruhigung die Füße auf den Boden und löste meine Arme von Wesleys Taille. Im selben Moment gab er so heftig Gas, dass das Motorrad nach vorne schoss und ich heruntergefallen wäre, wenn ich ihn nicht sofort wieder umklammert hätte.
Bis zu diesem Moment hatte ich das Ganze noch für einen geschmacklosen Witz von Wesley gehalten, den Xavier nicht lustig fand. Jetzt aber fuhr sich Xavier hilflos und verzweifelt durchs Haar, und sein Blick … es war der Blick, den ich das letzte Mal an jenem schicksalhaften Nachmittag auf dem Friedhof an ihm gesehen hatte, als ich direkt vor seinen Augen entführt wurde. Dieser Blick sagte mir wie damals, dass er verzweifelt nach einem Ausweg suchte, auch wenn er genau wusste, dass es keinen gab – als stünde er einer Giftschlange gegenüber, die jeden Augenblick, bei der kleinsten falschen Bewegung zuschnappen konnte. Wesley wirbelte das Motorrad herum, als hätte er Spaß an der Angst, die er verbreitete. Xavier schrie und versuchte, auf uns zuzulaufen, wurde jedoch von irgendeiner unsichtbaren Kraft zurückgehalten. Er biss die Zähne zusammen und kämpfte sich durch die unsichtbare Mauer, die ihm im Weg stand, doch vergeblich. Das Motorrad tanzte in alle Richtungen, als wollte es ihn verspotten.
«Was soll das?», schrie ich, als Wesley schließlich stoppte und in einer Staubwolke zum Stehen kam. «Xavier, was ist los?»
Wir waren jetzt so nahe an Xavier herangefahren, dass ich in seinen Augen tiefen Schmerz sehen konnte, gepaart mit Wut und einer unendlichen Verzweiflung, weil er mir nicht helfen konnte. Es gab keinen Zweifel mehr: Ich war in großer Gefahr. Vielleicht sogar wir beide.
«Beth … Das ist nicht Wesley.» Bei seinen Worten gefror mir das Blut in den Adern. Ich versuchte, mich von Wesley zu lösen, war bereit, mich vom Motorrad zu werfen, aber ich konnte meine Arme nicht bewegen. Es war, als würden sie von einer unsichtbaren Kraft festgehalten.
«Stopp! Lass mich runter», flehte ich.
«Zu spät», antwortete Wesley. Aber es war nicht mehr Wesley. Seine Stimme war plötzlich aalglatt und süßlich, und er sprach unverkennbar mit geschliffenem britischem Akzent. Diese Stimme hatte mich so lange in meinen Träumen verfolgt, dass ich sie überall wiedererkannt hätte. Der Körper, um den meine Arme lagen, begann unter meinen Fingern zu beben. Der breite, muskulöse Oberkörper und die wohlproportionierten Arme schrumpften, wurden hagerer und kälter. Wesleys Metzgerhände waren plötzlich schlank und schneeweiß. Die Baseball-Cap flog ihm vom Kopf und enthüllte schimmerndes schwarzes Haar, das im Wind tanzte. Und dann drehte er mir zum ersten Mal das Gesicht zu. Sein Anblick, so nah vor mir, bereitete mir Übelkeit. Jake . Sein Gesicht hatte sich kein bisschen verändert, es war bleich und bildete einen starken Kontrast zu seinem dunklen schulterlangen Haar. Ich erkannte die schmale, leicht gebogene Nase wieder und die Wangenknochen, die wie aus Stein gemeißelt wirkten (Molly hatte ihn deshalb einmal mit einem Calvin-Klein-Modell verglichen). Als er seine schmalen Lippen öffnete, enthüllte er kleine und auffallend weiße Zähne. Nur seine Augen waren anders als damals. Sie schienen vor finsterer Energie nur so zu pulsieren, und bei genauerem Hinsehen bemerkte ich, dass sie nicht grün waren, wie ich sie in Erinnerung hatte, sondern burgunderrot und matt – wie getrocknetes Blut.
«NEIN!», schrie Xavier verzweifelt. Der Wind, der über die leere Straße fegte, verschluckte seine Worte. «LASS SIE LOS!»
Was als Nächstes passierte, nahm ich nur verschwommen wahr. Xavier konnte sich aus irgendeinem Grund wieder bewegen und sprintete in vollem Tempo auf mich zu, und auch meine Arme gehorchten mir wieder. Doch bei dem Versuch, mich vom Motorrad zu werfen, verspürte ich einen stechenden Schmerz am Kopf.
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