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Hades

Hades

Titel: Hades Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Adornetto
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Ahnung, wo ich war oder wie ich hierhergekommen war. Meine Haare waren verschwitzt und die puscheligen Engelsflügel, die ich getragen hatte, verschwunden. Vermutlich hatten sie sich während der turbulenten Fahrt gelöst und waren abgerissen.
    Nichts an diesem Ort war mir auch nur im Entferntesten vertraut. Ich stand ganz allein in einer dunklen, gepflasterten Gasse. Nebel waberte am Boden, und die Luft war von einer Art Verwesungsgeruch erfüllt, so intensiv, als ob die Luft selber tot wäre. In der Ferne sah ich die rußigen Umrisse von Hochhäusern und Türmen, die mich an verfallene Vorstädte erinnerten. Aber sie wirkten nicht echt, eher wie Gebäude auf einem verblichenen alten Foto, charakterlos und zum Teil unscharf. Hier, wo ich stand, gab es nichts als Mauern, die mit vulgären Graffiti besprüht waren. An manchen Stellen war der Putz abgeblättert, und in die entstandenen Löcher hatte jemand Zeitung gestopft. Dahinter hörte ich das Geraschel von Ratten (zumindest vermutete ich das). Überall in der Gasse standen überquellende Müllcontainer, und die wenigen Öffnungen in den Mauern waren zugenagelt. Als ich nach oben blickte, sah ich keinen Himmel, nur ein seltsames Dunkel, das an manchen Stellen trübe und wässrig wirkte, an anderen aber zäh wie Teer. Die Dunkelheit schien zu atmen wie ein lebendiges Wesen und war weit mehr als die reine Abwesenheit von Helligkeit.
    Durch das milchige Licht einer altmodischen Laterne sah ich in einigen Metern Entfernung ein schwarzes Motorrad stehen. Der Fahrer war nicht zu sehen. Das Motorrad kam mir irgendwie bekannt vor und machte mir bewusst, in welch misslicher Lage ich mich befand. Was war geschehen? Aber mein Gedächtnis spielte mir einen Streich. Einzelne Bilder kamen mir in den Sinn, bildeten aber keinen Zusammenhang. Ich erinnerte mich an ein altes Haus an der Straße, an grinsende Kürbislaternen und das Gelächter und Geschrei von Teenagern. An lautes Motorengeräusch und dass jemand meinen Namen rief. Die Erinnerungen waren wie einzelne Puzzleteile, die ich erst zusammensetzen musste. Es war, als verweigerte mir mein Gehirn den Zugang zu meinem Gedächtnis, aus Angst, dass ich nicht damit fertigwürde. Es zerlegte sie in so kleine Teile, dass sie praktisch keinen Sinn ergaben. Dann aber durchbrach ein Bild die Barriere, eins, bei dessen Anblick mir schwindelte: Ich saß auf einem Motorrad, starr vor Angst, und stürzte mich gemeinsam mit einem Jungen mit rabenschwarzem Haar kopfüber durch ein Loch in der Straße. War so etwas überhaupt möglich?
    Mein Gefühl sagte mir, dass ich schon eine ganze Weile in der verlassenen Gasse stand. Meine Gedanken waren zäh und träge, und mich durch sie hindurchzulavieren, war mühsam. Was immer geschehen war, hatte auch körperlich seine Spuren an mir hinterlassen, denn meine Glieder fühlten sich so zittrig an wie nach einem Marathonlauf.
    «In ein bis zwei Tagen hast du dich dran gewöhnt», sagte eine honigsüße Stimme. Jake Thorn trat aus den Schatten hervor und stellte sich neben mich. Er gab sich mir gegenüber so vertraut, als wären wir alte Bekannte, die sich nicht mit Formalitäten aufhalten mussten. Sein plötzliches Auftreten versetzte meine sämtlichen Sinne in Alarmbereitschaft.
    «Bis dahin wirst du dich etwas desorientiert fühlen oder unter einem trockenen Hals leiden», fügte er hinzu.
    Sein lässiger Tonfall machte mich wütend. Obwohl ich nicht wusste, was los war, verspürte ich den unwiderstehlichen Drang, ihn anzuschreien, und wenn mein Hals nicht so ausgetrocknet gewesen wäre wie die Wüste, hätte ich es getan.
    «Was hast du getan?», krächzte ich stattdessen. «Wo bin ich?»
    «Kein Grund zur Panik», antwortete er. Das sollte mich wohl beruhigen, tat es aber nicht. Schließlich klang er genauso herablassend wie immer. Ich sah ihn skeptisch an. Mühe, meine Skepsis zu verbergen, gab ich mir nicht.
    «Entspann dich, Beth. Du bist nicht in Gefahr.»
    «Was mache ich hier, Jake?» Es war eher ein Befehl als eine Frage.
    «Ist das denn nicht offensichtlich? Du bist mein Gast, Beth, und ich habe mein Möglichstes gegeben, um dir den Aufenthalt angenehm zu gestalten.» Auf seinem Gesicht lag ein ungewöhnlich erwartungsvoller Ausdruck, sodass ich für einen Moment nicht wusste, was ich erwidern sollte. Stattdessen starrte ich ihn mit großen Augen an.
    «Keine Angst, Beth, mit den richtigen Leuten kann es hier ziemlich lustig sein.»
    Wie um seine Aussage zu unterstreichen, begann der Boden

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