Hades
unter unseren Füßen zu vibrieren. Ein Song, den ich noch vom Sommer her kannte, dröhnte so laut, dass es von den Wänden widerhallte. Die Musik quoll hinter einer der massiven Eisentüren am äußersten Ende der Straße hervor, die aussahen, als bildeten sie den Eingang zu einem Hochsicherheitsgefängnis. Doch wie das Neonschild mit der Aufschrift PRIDE verriet, war es kein Gefängnis, sondern eine Disco. Das Schwanzende des P ragte über das Schild hinaus und sollte wohl wie eine Pfauenfeder aussehen.
«Das Pride ist einer unserer beliebtesten Clubs», erklärte Jake. «Und das hier ist der einzige Eingang. Wollen wir?» Er bedeutete mir mit einer übertrieben höflichen Geste, ihm zu folgen, aber meine Füße schienen festgewurzelt und verweigerten die Mitarbeit. Jake musste meinen Arm nehmen und mich mit sich ziehen.
Der Nebel lichtete sich und enthüllte einen jungen Mann und eine junge Frau, die vor der Tür standen. Die Frau war spindeldürr, ungewöhnlich blass und mit nichts als paillettenbesetzten Shorts und einem BH aus Leder bekleidet. An den Füßen trug sie die höchsten Plateauschuhe, die ich je gesehen hatte. Von ihrem BH hingen feine Silberketten bis zum Nabel herab, die eine Art Vorhang vor ihrem Bauch bildeten. Sie hatte platinblondes, kurzgeschnittenes Haar und eine Zigarette zwischen den schwarz gemalten Lippen. Überraschenderweise war der junge Mann noch heftiger geschminkt als sie. Seine Augen waren dunkel umrandet und die Nägel schwarz lackiert. Er trug eine Lederweste auf der nackten Brust und eine karierte Hose, die zu den Knöcheln hin eng zulief, und war von oben bis unten gepierct. Die Frau fuhr sich anzüglich mit der Zungenspitze, die mit einem Silberstift verziert war, über die Lippen und musterte mich hungrig.
«Sieh an, sieh an», schnurrte sie. «Was ist uns denn da ins Haus geschneit? Ein Püppchen, das im Dunkeln leuchtet.»
«Guten Abend, Larissa … Elliott.» Jakes Begrüßung wurde mit stillem, synchronen Nicken erwidert.
Elliott grinste und warf Jake einen anerkennenden Blick zu. «Da scheint sich aber jemand was genommen zu haben, was ihm gar nicht gehört.»
Jakes Gesicht nahm einen schadenfrohen Ausdruck an. «Oh, ich denke schon, dass sie zu mir gehört.»
«Jetzt auf jeden Fall.» Larissas Lachen war tief und kehlig. Der Lidstrich an ihren Augen lief weit und geschwungen aus, was ihr ein katzenhaftes Aussehen verlieh.
Die Art, wie sie über mich redeten, als wäre ich gar nicht da, behagte mir nicht. Es gab mir das Gefühl, eine Trophäe zu sein. Wenn ich nicht so fürchterlich desorientiert gewesen wäre, hätte ich mich darüber beschwert. Stattdessen aber stellte ich kläglich die einzige Frage, die mir durch den Kopf ging:
«Wer seid ihr?»
Elliott schnalzte abfällig mit der Zunge. «Die geht wohl nicht oft aus, was?»
Ich blitzte ihn an. «Das geht dich absolut nichts an», erwiderte ich wütend, woraufhin die beiden in Gelächter ausbrachen.
«Und unterhaltend ist sie auch noch», merkte Larissa an. Sie legten die Köpfe schief und musterten mich mit einer Intensität, die mich nervös machte. «Was kann sie sonst noch?»
«Ach, das Übliche», fauchte ich wütend. «Salto rückwärts, Messer werfen, solche Dinge halt.»
Jake seufzte plötzlich gelangweilt. «Können wir jetzt bitte endlich durch?»
Larissa zuckte diensteifrig die Achseln, beugte sich zu mir herunter und sah mir in die Augen. «Du willst wissen, wer wir sind, Puppengesicht?», fragte sie. «Wir sind die Türschlampen.»
«Bitte?» Ich sah sie fassungslos an.
«Wir bewachen den Eingang. Hier kommt nur raus oder rein, wem wir es gestatten.»
«Aber da du ja sozusagen eine VIP bist», spottete Elliott, «könnt ihr natürlich durch, oder sollte ich lieber sagen runter ?» Die beiden warfen sich einen verschwörerischen Blick zu.
«Und wenn ich nicht will?», fragte ich trotzig.
Elliott grinste mich belustigt an und wies mit der Hand in eine unbestimmte Richtung. «Schätzchen, siehst du hier irgendeinen anderen Ort, an den du gehen könntest?»
Er hatte recht. Eine bedrückende, wabernde Dunkelheit umgab die Gasse – so bedrückend, dass sie mir das Gefühl gab, man könnte von ihr verschluckt werden. Es gab nur diesen einen Weg, nur diese eine Tür. Die einzige Richtung, in die wir gehen konnten. Doch auch wenn mir schon die Vorstellung, durch diese Tür zu gehen, Übelkeit verursachte, konnte es nicht so gefährlich sein, wie alleine durch die schwarze Dunkelheit zu
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