Hades
Ich war mir sicher: Dieses Gefühl würde jede schlimme Erinnerung sofort in mir auslöschen. Gabriel würde genau wissen, was er sagen musste, damit alles wieder gut wurde. Ich unterdrückte den Drang, ihn zu rufen, für den Fall, dass doch noch irgendetwas schiefging. Es war, als würde ich auf einem Drahtseil balancieren und große Vorsicht walten lassen müssen.
«Tuck», sagte ich drängend. «Wie komme ich weiter?»
«Langsam», sagte er mit entschlossenem Gesicht. «Stück für Stück. Bloß keine Hektik.»
Mein Herz schlug so laut, dass ich das Gefühl hatte, jeder konnte es hören.
«Weiter jetzt», sagte Tuck. «Aber langsam.»
Ich kämpfte gegen das Portal und schob mich Stück für Stück auf die andere Seite. Als meine Hände ganz hindurch waren, schleckte Phantom sie so hingebungsvoll ab, dass ich ein Kichern unterdrücken musste. Das beruhigende Dröhnen des Meeres in Venus Cove und Phantoms vertrautes Hecheln füllten meine Augen mit Tränen. Ich drückte mich weiter und spürte, wie das Portal immer abwechselnd Widerstand bot und sich dann entspannte, sodass ich weiterrutschen konnte. Es ging langsam, aber es ging voran.
Doch dann hörte ich das Knurren.
Das Geräusch war so furchteinflößend, dass mir fast das Herz stehenblieb. Zu dem tiefen, kehligen Knurren kam das Geräusch von Klauen, die die Erde aufrissen. Direkt über mir schwebte Taylahs Gesicht, aus dem jetzt alle Farbe gewichen war, und an meinem Rücken spürte ich Tucks Hände erschlaffen. Noch bevor ich wirklich begriff, was vor sich ging, wurde mir klar, dass ich eine Entscheidung fällen musste. Tuck war noch immer in der Einöde gefangen.
«Weiter», sagte er verzweifelt. «Du bist fast durch. Dreh dich nicht um.» Er konnte die Panik in seiner Stimme nicht verbergen.
Aber ich konnte nicht weiter, ebenso gut hätte ich aufhören können zu atmen. Tucker war in Hades wie ein Bruder für mich gewesen, es war unmöglich, ihn im Stich zu lassen. Im nächsten Moment riss ich mich selbst aus dem Salzkraut los und landete neben Tucker auf den Füßen. Er starrte mich fassungslos an. Ich spähte in die staubige Fläche vor mir, die nur von wucherndem Gestrüpp unterbrochen wurde. Das Geräusch kam ganz aus der Nähe und schwoll von Sekunde zu Sekunde an.
Aus panischer Angst heraus duckte ich mich, wodurch ich meinen Halt verlor, ins Rutschen geriet und schließlich auf die Knie fiel. Tucker richtete mich auf. Ich war vollständig mit dem roten Staub der surrealen Landschaft bedeckt.
«Keine Bewegung», sagte er. Wir klammerten uns aneinander fest, während wir hörten, wie die Kreaturen näher kamen. Und endlich konnte ich sie auch erkennen: sechs riesige, massige schwarze Hunde mit blutüberströmten Schnauzen, bereit zum Angriff. Sie waren so groß wie Wölfe, von ihren Reißzähnen tropfte der Speichel, und in ihren Augen lag Wahnsinn. Ihre Köpfe waren mit Narben übersät, aber sie wirkten robust und stark und die Krallen so scharf wie Messer. Der Gestank ihres zotteligen Fells war überwältigend.
Tucker und ich waren unfähig, uns zu rühren. Eins war uns klar: Das Portal war verloren. «Beth», sagte er mit zittriger Stimme. «Erinnerst du dich an die Fährtenleser, von denen ich dir erzählt habe?»
«Ja?» Ich gab mir Mühe, meine Stimme ruhig zu halten.
«Das sind sie.»
«Höllenhunde», flüsterte ich. «Perfekt.»
Die wolfsartigen Kreaturen wussten, dass wir in der Falle saßen, und umkreisten uns träge. Offensichtlich genossen sie ihre Macht. Wenn sie sich auf uns stürzten, würden sie uns in Lichtgeschwindigkeit wie schattenhafte Gestalten in Stücke reißen.
Das Rudel engte uns weiter ein und knurrte boshaft. Ich sah, wie derb und verfilzt ihr Fell war, wie gelb ihre Augen. Eine trockene Windböe trug ihren faulen Geruch zu uns herüber.
Wir konnten nicht viel tun. Wenn wir versuchten wegzulaufen, würden sie uns sofort packen. Wir hatten keine Waffen, nichts, um uns zu verteidigen, und keinen Ort, an dem wir uns verstecken konnten. Wie gern hätte ich meine Flügel entfaltet und uns beide in Sicherheit gebracht, aber sie fühlten sich auf meinem Rücken an wie totes Gewicht – die Einöde hatte sie ihrer Kraft beraubt.
Die Hunde duckten sich – dann schossen sie auf uns zu. Ich schloss die Augen. In diesem Moment ertönte ein Schrei hinter uns, und einen Moment später erschien Taylah und stellte sich zwischen uns und die Höllenhunde. Die Hunde gingen verwirrt zu Boden.
«Was tust du hier?»,
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