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Hades

Hades

Titel: Hades Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Adornetto
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welches? Mir kam der Gedanke, dass sie vermutlich noch dieselben Kleider trugen wie zum Zeitpunkt ihres Todes, denn manche hatten Krankenhaushemden an oder Kleidung, die mit Blut und Schmutz übersät war. Andere wiederum trugen Anzüge oder Abendkleider. Sie alle aber vereinte der welke, leere Blick der lebenden Toten.
    Innerhalb von Sekunden kam Leben in die Menge, und alle begannen zu drängeln, um einen guten Platz zu ergattern. Ihre hohlen Augen beobachteten mich mit brennender Neugier. Als hätte ihnen jemand ein Zeichen gegeben, brachen sie in Jubel und Applaus aus und streckten ihre skelettartigen Glieder nach uns aus. Ich wich panisch zurück. Dieses eine Mal war ich dankbar, dass Jake bei mir war. Auch wenn ich ihn verabscheute und wusste, dass diese abscheuliche Parade sein Werk war, rutschte ich näher an ihn heran. Ironischerweise drehte ich nur, weil er bei mir war, nicht völlig durch.
    Als die Limousine die Straße entlangfuhr, drängten sich die Menschen um sie herum. Ich hatte keine Ahnung, wohin wir fuhren oder welches Ereignis diese Seelen zusammengetrieben hatte, aber was ich erkannte, war, dass Jake mich vorführte wie eine Trophäe. Ich war die Verkörperung seines Triumphs über die Mächte des Himmels. Meine Entführung war Jakes Meisterwerk, und ich sah ihm an, wie sehr er diesen Moment genoss.
    Auf einmal sprang Jake auf und zog mich hoch. Ich versuchte, mich loszureißen, aber sein Griff war so fest, dass zwei Striemen zurückblieben, als er ihn löste. Die Menge schien jetzt völlig verrückt zu werden, sie kletterten übereinander, um auf die Kühlerhauben der Autos zu gelangen oder sich an die verkohlten Fenster zu hängen.
    «Du solltest winken», sagte Jake. «Dann bekommst du schon mal Übung.»
    «Sagst du mir wenigstens, wo wir hinfahren?», fragte ich.
    Jake warf mir seinen typischen Blick zu, halb lächelnd und halb spöttisch. «Und dir die Überraschung verderben?»
    Der Fahrer verließ die Hauptstraße und hielt vor einem Schrottplatz mit Bergen von Altmetall. Ein Stück war frei geräumt worden, um Platz für eine Bühne mit Mikrophonen und Lautsprechern zu machen. Jakes Leibwächter patrouillierten mit Funkgeräten bewaffnet in der Gegend. Der Trubel überwältigte mich so sehr, dass ich sogar Jakes Arm nahm, als er ihn mir reichte. Er warf mir einen selbstzufriedenen Blick zu, aber ich war innerlich zu aufgewühlt, als dass es mir etwas ausmachte. Gemeinsam stiegen wir die Stufen aus rotem Teppich hoch wie Promis auf einer Hollywood-Gala. Oben erwarteten uns unter einem Baldachin aus geflochtenen schwarzen Rosen zwei silberne Throne, die mit schwarzem Nerz bedeckt waren. In einer anderen Umgebung hätten sie wahrscheinlich atemberaubend gewirkt, aber hier und heute erschienen sie mir wie eiserne Fesseln, die mich an die Welt unter der Erde ketten sollten. Da ich aber ziemlich weiche Knie hatte, sank ich trotzdem erleichtert auf den Thron, zu dem mich Jake übertrieben galant leitete. In diesem Moment wurde es plötzlich still – die eben noch tobende Menge schien darauf zu warten, dass Jake zu ihnen sprach. Sogar die Fledermäuse, die geräuschlos über uns herumgeflogen waren, stoppten mitten im Flug.
    «Allen ein herzliches Willkommen», begann Jake. Er brauchte offensichtlich kein Mikrophon, seine kräftige Stimme schallte auch so über die Menge. «Der heutige Tag stellt ein bedeutendes Ereignis dar – nicht nur für mich, sondern für das gesamte Königreich von Hades.»
    Der Jubel schwoll erneut an, erstarb aber sofort, als Jake die Hand hob und Stille befahl. In der ersten Reihe vor uns sah ich die Elite von Hades streng hierarchisch geordnet sitzen. Alle hatten den gleichen herablassenden und leicht sadistischen Gesichtsausdruck, wirkten aber trotz allem beeindruckend. Die Seelen hingegen machten einen erschrockenen und verängstigten Eindruck, sahen Jake aber trotzdem fest an. Ich spürte heißen Wind an meinen Wangen und wünschte mich zurück ins Penthouse, wo ich zwar eingesperrt war, aber sicher vor den neugierigen Blicken der Verdammten.
    Jake schien alles und jeden zu überragen, als er jetzt mit einer ausschweifenden, dramatischen Geste die Hand hob. Auf dieses Zeichen fielen die Seelen auf die Knie wie Dominosteine. Ich versuchte, meinen Blick auf den purpurfarbenen Himmel zu richten und niemanden aus der Menge direkt anzuschauen. Zu groß war meine Angst vor dem, was ich in ihren Augen sehen würde. Ein ungutes Gefühl in der Magengegend sagte mir, dass

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