Hadschi Halef Omar im Wilden Westen
lassen?«
»Old Shatterhand!« rief der halbblinde Everts aus, den wunderhaften Sinn meiner Worte erahnend.
»Ja, Mister Everts, freut Euch! Sobald Ihr gegessen habt, dürft Ihr Euch aus meinem Vorrat etwas Passendes aussuchen. Es wird sich kaum die Stärke der Augengläser finden, wie sie Euch verlorengegangen sind. Aber Euch wieder sehend zu machen, dazu wird es reichen.«
Wer wie ich von früher Kindheit an an den Augen siech gewesen ist, mühsam das Sehen erlernen und allerhand Quacksalbereien über sich ergehen lassen mußte, der wird ermessen können, wie groß die Freude des Alten über meine Worte war. Gerettet worden zu sein war das eine und brachte ihm bereits spürbar Kraft und Zuversicht zurück; nun aber aus seinem Zustande blinder Hilflosigkeit in die Welt mit ihren unzähligen sichtbaren Wundern zurückkehren zu dürfen, das ging beinahe über sein Fassungsvermögen hinaus.
Ich stand auf und ließ ihn allein, denn es gab Momente, ob in Glück oder Not, da mußte der an sich darbende Mensch für sich sein; diesen Moment Everts’ wollte ich nicht stören. Auf schlimme Weise hatte er heute Gott gelästert; man mag mich empfindlich schelten, aber ich leide solchen Zorn nicht. Überhaupt schien mir die eigentliche Ursache für das beständige Unglück des Alten in ihm selbst zu liegen. Wer sich von seinem Schöpfer oder meinetwegen auch nur von der Schöpfung abwendet, verliert in Folge die Achtung für alles andere, selbst für scheinbar unwichtige Dinge. Bei Everts war dies erst sein Pferd gewesen, sodann seine Brille,
ganz zu schweigen von seiner Ausrüstung und sogar seiner Wasserflasche. Ohne die Himmelskraft vermag kein Mensch in der Wildnis zu überleben, das ist meine feste Überzeugung.
Eine Stunde später war Everts von Hirtreiter versorgt worden, so trat ich zu ihm, um mein Versprechen einzulösen. »Ihr sollt von mir eine Brille bekommen, als Provisorium, bis Ihr Euch anderweitig versehen könnt – ist Euch bekannt, daß das Los der Fehlsichtigkeit oder Blindheit immer öfter auch die rote Rasse betrifft? Ihre zunehmende Vertreibung, der Tod so vieler gesunder Männer und Frauen, die aufgezwungene Änderung in ihren Eß- und Lebensgewohnheiten, all das ist schuld daran und ein weiterer Grund, weshalb ich dieses kleine Paket hier immer mitreisen lasse. Brillen sind klein und wiegen wenig, seit man sie aus einem neuen Material fertigt, welches Zelluloid genannt wird. Sie kosten nicht mehr die Welt, und stellt Euch die Freude vor, die man einem Indianer bereiten kann, dessen müde oder krank gewordene Augen ihn an sein Zelt fesseln. Manch roten Mann habe ich jubeln hören, weil ihm das Sehen wieder möglich wurde; einem jubelnden Indianer begegnet man nicht alle Tage. Vor einiger Zeit vermeldeten die Zeitungen den Namen eines Nez-Percé-Häuptlings, der sich jetzt Looking Glass 56 nennt. Ihr müßtet von ihm gehört haben; sein Stamm ist auch in Montana beheimatet. Ratet, wer ihm zu diesem Namen verholfen hat und womit – – – «
Everts, erpicht auf meine Hilfe, antwortete nicht, nickte aber zu jedem meiner Worte. Er war ganz begierig auf die versprochene Brille. Wer mich kennt, ahnt, daß ich ihm diese Vorrede nicht ohne einen bestimmten Zweck hielt. Weil er gar so entschieden seinen Widerwillen gegen alles Geistliche geäußert hatte, hatte ich ihn in Verdacht, auch kein Menschen-, erst recht kein Indianerfreund zu sein. Es war in diesen Tagen nichts Ungewöhnliches, daß an sich verständige Männer im Auftrage der Regierung durchs Land streiften, um, jeder auf seine Weise, die schlimmsten Übergriffe
gesetzloser Gestalten zu verhindern oder zu mildern. Selbstverständlich hatte dabei auch ein tüchtiger Beamter seine Berechtigung, welcher Steuern beizutreiben hatte. Aber die Härte, mit der das Leben irgendwann einen jeden anfaßt, verschont auch den nicht, der eigentlich Gutes will. Ich verhehle nicht, daß ich mich selbst an jedem Morgen und an jedem Abend befrage, ob ich »gerecht« bin. So wollte ich den Versuch unternehmen, die zuvor bei dem Alten verspürte Weichheit zu verstärken, um seinen Starrsinn aufzubrechen.
Dieser faßte, durchaus liebevoll, nach meiner Hand, sagte aber zugleich:
»Ich habe schon von ihm gehört, und wer wüßte nicht, daß Old Shatterhand ein so großer Freund der Roten ist. Mir ist das ganz unverständlich. Die meisten Indianer, die mir zu Gesichte gekommen sind, waren Feiglinge.«
»Vielleicht waren sie gar keine Feiglinge, sondern nur
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