Hämatom
gar nicht angefangen hatte zu
arbeiten?
»Ich begrüÃe Sie in unseren Reihen, Frau Ziegler«, schnaufte
er angestrengt. »Bedauerlicherweise habe ich nicht mehr lange das Vergnügen,
mit Ihnen zusammenzuarbeiten.«
Wieso nicht? War der Schrage seine Unterwürfigkeit so auf
die Nerven gegangen, dass sie ihn gefeuert hatte?
»Ich habe Montag meinen letzten Arbeitstag. Dann beginnt
die Ruhephase meiner Altersteilzeit. Leider kann ich Ihnen noch nicht sagen,
wer meine Position übernimmt, über meine Nachfolge wurde noch nicht endgültig
entschieden.«
Wieso herrschte hier überall Personalmangel, wo doch jeder
über die hohen Arbeitslosenzahlen schimpfte?
»Mit Ihrer Qualifikation könnten Sie sich bewerben. Aber
im Vertrauen: Die Chefin wird in dieser Position jemand â äh â Erfahreneres
sehen wollen.«
»Erfahrener?«
Was waren denn die sechs Jahre Berufserfahrung, die ich
mir in meine gefälschte Bewerbung gelogen hatte?
»Jemanden, bei dem man sicher davon ausgehen kann, dass
er die Stelle längerfristig besetzt«, wurde Herold deutlicher.
Er meinte also eine Frau, die die Wechseljahre hinter
sich hatte oder â noch besser â einen Mann, weil für den eine Frau Kinder und
Küche hütete. Hatte sich die Erfindung der Elternzeit für Väter noch nicht
herumgesprochen?
»Kommen wir zum Dienstlichen«, räusperte sich Herold. »Ich
denke, wir beginnen mit einem Rundgang durchs Haus.«
Eine gute Stunde verging, bis mir Herold sämtliche Bereiche
der Klinik gezeigt hatte. Dass der Rundgang in etwa so lange dauerte wie eine
Stadtführung durch ganz Bochum, lag nicht an der Weitläufigkeit des Gebäudes,
sondern vor allem an Herolds Kurzatmigkeit.
Herold führte mich in den Glasgängen, die den Altbau mit
dem Neubau verbanden, hin und her. Ãber und unter uns eilten Ãrzte, Schwestern,
Patienten und automatische Essenswagen durch die Glasröhren. Im untersten Gang
konnte ich Svetlana ihren Reinigungswagen schieben sehen und wieder darunter
lieferten Krankenwagen im Minutentakt neue Patienten an der Notaufnahme ab.
Im Erdgeschoss des Altbaus befanden sich die Eingangshalle
mit Empfang, Cafeteria und einem Friseur. Die Etagen darüber beherbergten
jeweils zwei Stationen â eine im Altbauflügel und eine über die gläsernen
Brücken hinweg im Neubau.
Herold zeigte mir die Neurologie mit einer angrenzenden
Schlaganfallstation, der sogenannten Stroke Unit . AnschlieÃend führte er mich über alle Fachstationen, von deren Namen
ich trotz meiner beachtlichen Krankenhauserfahrung höchstens die Hälfte
übersetzen konnte: die innere Medizin und Gastroenterologie, auf der ich
gelegen hatte, die Kardiologie und Angiologie gleich nebenan, die Urologie, die
Onkologie, die Chirurgie, die Orthopädie, gleich zwei Intensivstationen, die
Gynäkologie und Geburtshilfe, einschlieÃlich mehrerer KreiÃsäle, die
Kinderstation, die Sportmedizin. Im Altbau gab es Operationssäle, im Neubau fanden
sich in der Radiologie die diagnostischen Geräte, vom normalen Röntgenapparat
über den Magnetresonanztomografen bis hin zur hellsehenden Kräuterhexe.
»Wir haben ein elektronisches SchlieÃsystem«, erläuterte
mir Herold atemlos und schwitzend, als wir nach Besichtigung von
Physiotherapie, Bücherei und Kapelle endlich Jannas Büro erreichten. »Das hier
ist Ihre Keycard.«
Wahrscheinlich sollte es wichtig wirken, dem Ding einen
englischen Namen zu geben, der haargenau das Gleiche bedeutete wie die deutsche
Ãbersetzung. Wichtig wirkte es allerdings nur, wenn der, der die Worte
benutzte, mehr als acht Jahre Volksschulenglisch genossen hatte.
Herold sagte: Kai-Kart.
Er drückte mir eine weiÃe Karte an einem Schlüsselband in
die Hand, ohne zu ahnen, dass eine gleiche Karte bereits in meiner Hosentasche
steckte.
»Sie sind zu allen Bereichen zugangsberechtigt, die gereinigt
werden müssen. Das bedeutet, Sie können beinahe jede Tür im Haus öffnen.
Sollten Sie irgendwo nicht hineinkommen, melden Sie sich bei Herrn Schlute, dem
Leiter des technischen Dienstes. Er kümmert sich darum.«
Ich hängte mir die Karte um den Hals.
»Ãber die Keycard wird auÃerdem Ihre Arbeitszeit erfasst.
Das bedeutet, das ist gleichzeitig Ihre Stempelkarte.«
Herold öffnete mit seiner eigenen Karte Jannas Büro.
»Unsere
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