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Hämoglobin (Jacks Gutenachtgeschichten) (German Edition)

Hämoglobin (Jacks Gutenachtgeschichten) (German Edition)

Titel: Hämoglobin (Jacks Gutenachtgeschichten) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Sträter
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Kroppzeug?«
    »Es geht«, sagte ich. »Viele Dealer. Und Obdachlose. Die sind allerdings harmlos.«
    »Ich mag die Gegend schon jetzt«, strahlte er, und diesmal musste ich lachen.

2
    Er zog am gleichen Abend ein. Er kehrte gegen Zehn mit einer zusammengezurrten Matratze und einem Ledermantel über dem Arm zurück und haute sich unverzüglich aufs Ohr.
    Ich sah seinen Teil der Miete für die nächsten drei Monate im Voraus auf dem Tisch liegen. Er hatte ohne jedes Zögern bar bezahlt. Das Licht des Mondes, das durch das Küchenfenster schien, gab den Scheinen eine silbrige Aura; ich selbst fühlte mich zum ersten Mal seit Monaten auf der sicheren Seite.
    Es war immer noch eine Bruchbude, aber ich konnte sie beza h len.
     
    Obwohl dem Sprichwort nach ein gutes Gewissen das beste Ruhekissen ist, wachte ich mitten in der Nacht auf. Der Stu n denzeiger des billigen Blechweckers glimmte auf der Vier, und ich hatte ein Geräusch gehört.
    Es war leise und verstohlen gewesen; ein eiliges Scharren auf den alten Holzböden im Flur.
    Ich hörte die Klinke quietschen, aber nicht das Zufallen der Tür.
    »Das geht ja gut los«, flüsterte ich ins Dunkel. Aber wah r scheinlich wollte Dave nur Zigaretten holen oder so was. Ich musste daran denken, am nächsten Tag einen Schlüssel nac h machen zu lassen.

3
    Ich traf ihn morgens in der Küche; sein Gesicht passte gut zum Wetter draußen.
    Er machte einen müden, verquollenen Eindruck in seinem alten Frotteebademantel.
    Sein Bartwuchs war noch üppiger geworden , wucherte ihm bis weit über die Wangen.
    »Brauchst du einen Einwegrasierer?«, fragte ich. »Hab welche im Kulturbeutel. Der steht auf dem Wannenrand.«
    »Nee, lass mal«, grunzte er und hockte sich an den Tisch.
    Wir tranken Kaffee und unterhielten uns. Ich stellte fest, dass ich ihn mochte.
    Trotz seines wilden Aussehens war er ein charmanter Kerl, und über einige seiner Äußerungen musste ich brüllend lachen.
    Meine Timex piepte.
    »Ich muss los. Der Job ruft. Ein neuer Tag in der Wunderwelt der fleischverarbeitenden Industrie.«
    Er nickte müde und blieb hocken.
    »Jobbst du nicht?«, fragte ich.
    »Nicht wirklich. Verdiene mal hier, mal da was dazu. Bin quasi Unternehmer.«
    Er sagte das in einem Ton, der kein Nachhaken gestattete.
    Ich tippte auf Drogen. Wenn dem so war, schien er zumindest nicht besonders erfolgreich damit zu sein. Schließlich wohnte er bei mir.
    »Ah«, sagte ich in Ermangelung irgendeiner vernünftigen An t wort. »Dann bis heute Abend.«

4
    Natürlich war mein Fahrrad wieder platt. Mit schöner Rege l mäßigkeit kanalisierte jemand seinen Hass auf die Welt durch das Zerstechen meiner Reifen . E s war der übliche, sichelförm i ge Schnitt. Merkwürdigerweise war der bis zur Unkenntlichkeit aufgemotzte Corsa unseres Siedlungsdealers wie immer völlig unversehrt. Der Typ wurde Belly genannt, die milde Slangform seines nahezu unaussprechlichen orientalischen Namens, und er verdiente kein schlechtes Geld mit dem Elend anderer. Belly war die Sorte Mensch, die dich anrempelt, um dann mit dir Streit anzufangen – einfach nur aus Langeweile.
    Das letzte Mal hatte er sich so dicht vor mir aufgebaut, dass sich unsere Nasenspitzen berührten. »Was glotzt du mich so an?«, hatte er ge fragt. Die anschließende kleine Diskussion über Intimsphären und schwachsinnige Anpöbeleien hatte ich g e wonnen, allerdings nur r h etorisch. Ein ziemlich billiger Tr i umph,
    Ich zog es stets vor, die Straßenseite zu wechseln, wenn ich einen seiner schlabberigen, aber teuren Trainingsanzüge ko m men sah, über dem sein zornig-arrogantes Gesicht schwebte.
    Ich bin kein Feigling, aber ich spiele nicht Tennis mit jema n dem, der auf die Regeln scheißt und mit einer Kalaschnikow auf den Platz kommt. Der Kerl war einfach unberechenbar.

5
    Als ich gegen fünf die Wohnung betrat, hörte ich Dave singen und schreien.
    Er war wohl doch nicht depressiv. Und wenn doch, dann hatte er gerade eine ausgesprochen manische Phase.
    Er hatte meine Anlage aufgedreht und ließ die dröhnenden Bässe von AC/DCs Highway to Hell tief ins Mauerwerk eindri n gen. Die Tapete vibrierte, aber daran waren die feuchten Wä n de nicht ganz unschuldig. Das war der Vorteil, hier zu wohnen: Party wann, so oft, so laut man wollte.
    Nur: Wenn man hier wohnte, wollte man meist nicht.
    Dave sprang barfüssig herum, sang mit, johlte dann wieder, spielte Luftgitarre und amüsierte sich köstlich, wie es aussah.
    Er hatte unförmige Füße, fiel

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