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Hänschen klein - Winkelmann, A: Hänschen klein

Titel: Hänschen klein - Winkelmann, A: Hänschen klein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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lagen an seinem Hals, in seinem Inneren brannte es, als hätte er getrocknete Chilies gegessen. Obwohl sein Mund weit aufgerissen war, bekam er kaum Luft zum Atmen. Ohne Licht zu machen tastete Sebastian nach rechts, fand dort auf Anhieb den Inhalator und presste sich das Mundstück gegen die Lippen.
    Draufdrücken. Einmal, zweimal, dreimal. So wie Anna es ihm von Kindesbeinen an beigebracht hatte. Der immer gleiche, Leben rettende Rhythmus. Einmal, zweimal, dreimal. Und nie, nie, nie vergessen, den Inhalator vor dem Zubettgehen aufzufüllen und in Reichweite auf den Nachtschrank zu stellen. Annas ermahnende Stimme klang ihm in den Ohren, während er auf die Wirkung des entkrampfenden Medikaments wartete und schließlich spürte, wie es
in die kleinen Bronchialverästelungen seiner Lunge strömte und diese sich lösten. Endlich konnte wieder Atemluft eindringen.
    Sebastian sog sie gierig ein und sank langsam ins Kopfkissen zurück. Mit geschlossenen Augen und geöffnetem Mund lag er da, hörte Saskia neben sich ruhig atmen. Er sah zu ihr hinüber. Sie lag auf der Seite, hatte ihm den Rücken zugedreht, ihr Körper war bis zur Hüfte entblößt. Ihre nackte Haut schimmerte bläulich im Mondlicht, er sah ihre Schulterblätter sich heben und senken. Es war ein gutes Gefühl, sie neben sich zu haben. Vorhin, nachdem sie sich so zärtlich geliebt hatten, hatte sie ihm mit schlaftrunkener Stimme zugeflüstert, dass sie für immer bleiben würde. Dann war sie vor Erschöpfung eingeschlafen, und er hatte sie noch eine ganze Weile angesehen. Bisher hatte er Liebe falsch definiert, das war ihm dabei klar geworden. Zwar wusste er auch jetzt nicht, wie er es in Worte fassen konnte, aber er wusste ganz genau, dass zwischen Saskia und ihm mehr war, als es bei seinen anderen Freundinnen der Fall gewesen war.
    Ein schönes, wärmendes, beruhigendes Gefühl.
    Obwohl Atmung und Herzschlag sich normalisiert hatten, kehrte die Müdigkeit noch nicht zurück. Traumfetzen versuchten sich vor seine Gefühle für Saskia zu schieben; das Gesicht seiner Mutter, eine verzerrte Fratze, ihre Hand, aus der er fortgerissen worden war. Sebastian konnte sich auf all das keinen Reim machen, im Moment wollte er auch gar nicht darüber nachdenken. Viel zu schön war es, hier einfach neben diesem bezaubernden Mädchen zu liegen und es atmen zu hören.
    Auf dem Rücken liegend lauschte er. Draußen ging ein frischer Wind durch die Eichen, ansonsten nur die üblichen
Geräusche. Das Knacken und Knarzen im Gebälk, das leise Summen des Kühlschranks in der Küche. Er versuchte, sich auf diese Geräusche zu konzentrieren und dadurch den Schlaf herbeizuzwingen. Es klappte nicht. Er kapitulierte, trat die leichte Decke von seinen Beinen, stand auf und ging zum geöffneten Fenster. Durch den Spalt drang etwas kühlere Nachtluft herein, von der in dem vom heißen Tag aufgeheizten Zimmer aber kaum etwas zu spüren war.
    Weil sein Hals brannte und weil er ahnte, dass er ohne einen Schluck Wasser nicht wieder einschlafen würde, zog Sebastian sich seine Boxershorts an und verließ das Zimmer. Erst in der Küche machte er Licht. Sein Blick fiel auf die Uhr an der Wand. Kurz nach elf. Lange hatte er nicht geschlafen. Er ging zum Spülbecken und ließ Wasser aus der Leitung laufen, bis es kalt war, füllte ein Glas und trank es in einem Zug. Dann füllte er es noch einmal, lehnte sich gegen die Arbeitsplatte und trank in kleinen Schlucken. Die Kälte war Balsam für seinen Hals.
    Während er dort stand, fiel sein Blick auf das Schrotgewehr. Es lehnte neben der Tür. Wollte er es nicht auf Schritt und Tritt dabeihaben? Vor allem nachts? Hatte er nicht vor Uwe damit angegeben, dass er mit dem Gewehr kacken ging? Und gerade jetzt, wo die Personenschützer verschwunden waren, vergaß er es. Gut, sie waren vom Bad direkt ins Schlafzimmer gelaufen, das Verlangen war einfach zu groß gewesen. Trotzdem durfte er nicht so leichtfertig sein. Trotzdem musste er …
    Schlagartig fiel Sebastian ein, dass er auch nicht daran gedacht hatte, die neue Haustür abzuschließen. Die extrem teure Haustür mit dem Sicherheitsschloss und den vier Stahlbolzen! Was nützte das alles, wenn er sie nur ins Schloss fallen ließ! Er nahm den Schlüssel vom Haken,
ging in den Flur und verriegelte die Tür. Viermal hörte er den Schließmechanismus einrasten. Vier Stahlbolzen gegen eine Verrückte! Ob es etwas half?
    Im Stall wieherte ein Pferd. Dann noch eines. Zunächst verhalten, dann lauter.

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