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Hänschen klein - Winkelmann, A: Hänschen klein

Titel: Hänschen klein - Winkelmann, A: Hänschen klein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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angeschlossenen Elektrogeräte zerstört und den Putz von den Wänden bröckeln lassen, wo elektrische Leitungen verliefen. Das hatte er erst am nächsten Morgen erfahren, aber während er zitternd
unter seiner Bettdecke gelegen hatte, war eine Feuerlanze aus der unbenutzten Steckdose gegenüber seinem Bett geschossen. So wie in seinen Träumen von dem Riesen lange, grelle Finger durch den Raum tasteten, tastete die Feuerlanze nach seinem Bett. In den wenigen Minuten, bis seine Eltern ihn erlösten, hatte er ins Bett gemacht, und noch heute kehrte mit jedem Gewitter die Angst zurück.
    Sie war nicht mehr so erdrückend und lähmend wie früher, reichte aber immer noch aus, ihn solche Nächte angezogen und wach verbringen zu lassen. So wie jetzt. Es war kurz nach eins, kaum mehr als zwei Stunden hatte er geschlafen. Gegen einundzwanzig Uhr, als das Gewitter unübersehbar am Horizont gelauert hatte, war Saskia aufgebrochen. Dreimal hatten sie sich im Laufe des Nachmittags geküsst; noch zaghaft auf der Kuppe am Rande des Waldes, später auf seinem Zimmer dann mit entschieden mehr Körpereinsatz und zuletzt sogar unter den Augen seiner Eltern. Ein schneller Kuss zum Abschied in der geöffneten Wagentür, und doch vielleicht der bedeutendste des Nachmittags, eben weil er öffentlich gewesen war. Die Erinnerung daran brachte ihren Geschmack zurück, ihren Duft, ihre Stimme …
    Das fahlblaue Licht eines Blitzes erhellte das Zimmer. Sebastian, der sich gerade die Schuhe zuband, zog die Schultern zusammen und machte sich klein. Unwillkürlich ging sein Blick zur Steckdose. Nach einem weiteren heftigen Donnerschlag, bei dem seine Kopfhaut kribbelte und sich zusammenzog, begann plötzlich Taifun zu bellen. Gleichzeitig ertönten im Erdgeschoss leise Geräusche. Sebastian öffnete die Tür seines Schlafzimmers und spähte hinaus. Der obere Flur war stockdunkel. Er lauschte. Unten
quietschte eine Tür, und mattes Licht kroch die Treppe bis zur Hälfte hinauf. Ohne selbst Licht zu machen, schlich Sebastian darauf zu. In der geöffneten Tür zum Schlafzimmer seiner Eltern stand Edgar. Sein weißes Haar war zerzaust, er trug Jeans und das karierte Oberteil seines Pyjamas. Hinter ihm warf sich Anna ihren Bademantel über. Sein Vater sah zu ihm hinauf.
    »Das klingt nicht gut«, sagte er mit schlafrauer Stimme.
    Seine Antwort wurde Sebastian durch einen Donnerschlag von den Lippen gerissen. Und plötzlich setzte mit unglaublicher Kraft der Regen ein. Schwere Tropfen trommelten auf die Tonpfannen des Daches und an die Fensterscheiben. Ein infernalisches Stakkato, in dem man sein eigenes Wort nicht verstehen konnte. Stumm und staunend standen sie in der Diele, blickten zur Decke hinauf, sorgten sich um das schützende, aber alte Dach über ihren Köpfen. Nach zwanzig Sekunden wurde der Regen erträglicher, erlaubte wieder eine Unterhaltung.
    Taifun bellte ohne Unterlass.
    »Da stimmt was nicht!«, sagte Edgar. »Wegen eines Gewitters hat er noch nie so ein Theater gemacht.«
    Er warf Sebastian einen schnellen Blick zu, der alles sagte. Natürlich hatten beide die Einbruchsspuren an der Stalltür vor Augen, sprachen aber nicht darüber, weil Anna nichts davon wusste. Was auch der Grund war, warum Taifun entgegen Edgars Vorhaben nachts doch nicht frei auf dem Hof herumlief. Anna sollte sich keine Sorgen machen. Edgar achtete immer darauf, das Leben seiner Frau möglichst sorgenfrei zu halten.
    »Lass uns nachsehen«, sagte er nun.
    Sie zogen ihre Regenjacken und Regenhosen an. Anna holte zwei starke Stablampen aus der Küche.

    »Müsst ihr da wirklich raus?«, fragte sie.
    Edgar nickte. »Vielleicht sind die Pferde nervös. Wenn sie durchdrehen, verletzen sie sich in den Boxen. Wir müssen auf jeden Fall nachsehen.«
    Sie nahmen ihr die Lampen ab, doch bevor Edgar die Haustür öffnen konnte, hielt Anna ihn am Ärmel fest. Das Ölzeug quietschte unter ihrem festen Griff.
    »Geht nicht raus … bitte!«, flehte sie.
    Ihre Stimme zitterte, ihre Augen waren geweitet. Seine Mutter war ein ängstlicher Mensch, das wusste Sebastian, aber diese Reaktion war selbst für sie übertrieben. Es war ja nicht das erste Mal, dass sie während eines Unwetters nach den Pferden sehen mussten.
    Edgar gab ihr einen flüchtigen Kuss, drückte ihre Hand und löste sie von seiner Jacke.
    »Du brauchst keine Angst zu haben, uns passiert nichts. Schließ die Tür hinter uns, und schalt die Hofbeleuchtung ein.«
    Damit wandte er sich ab und öffnete die

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