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Hänschen klein - Winkelmann, A: Hänschen klein

Titel: Hänschen klein - Winkelmann, A: Hänschen klein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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Haustür. Was dem Unwetter an Realität noch gefehlt hatte, stürzte jetzt mit Gewalt ins Haus: Regen, Sturm, fahlblaue Irrlichter. Sebastian sah seine Mutter an, und sein aufmunterndes Lächeln wurde im Keim erstickt, als er die Panik in ihren Augen sah. Bevor er weiter darüber nachdenken konnte, folgte er Edgar vor die Tür, ins Inferno. Dort hielten sie die Köpfe gesenkt, kniffen die Lider zusammen, standen Schulter an Schulter auf dem Absatz der Stufen. Die Außenbeleuchtung flammte auf, doch das Licht der kräftigen Scheinwerfer, das sonst den ganzen Hof bis hin zum Schuppen für die Autos erhellte, versickerte zwischen dem starken Regen und der pechschwarzen Nacht. Sie schalteten ihre Taschenlampen ein, nickten sich zu und gingen
die vier Stufen hinunter. Der prasselnde Regen auf ihren Kapuzen verhinderte jede Unterhaltung.
    Gegen den Sturm gelehnt kämpften sie sich über den Hof zum Zwinger. Binnen Sekunden liefen ihnen Sturzbäche übers Gesicht. Sebastian überkam das Gefühl zu ertrinken. Er schluckte heftig, wischte sich immer wieder mit der Hand durchs Gesicht. Vor ihnen in der Finsternis bellte Taifun. Seine wütende Stimme konnte nur Eindringlingen in seinem Revier gelten. Aber selbst wenn bei diesem Unwetter tatsächlich jemand auf dem Hof war, der hier nichts zu suchen hatte, hätten Sebastian und Edgar ihn nicht bemerkt. Das gebündelte Licht der starken Taschenlampen versickerte wenige Schritte vor ihnen in der Wasserwand. Die schnell aufeinanderfolgenden Blitze reichten gerade so, um sich zu orientieren. In grellen Abfolgen tauchten die Umrisse der Gebäude auf, verschwanden, tauchten auf … Sebastian tröstete sich mit dem Gedanken, dass ein Einbrecher auch nicht mehr sehen konnte als er selbst, und er fragte sich, wie lange die Natur eine solche Kraft aufrechterhalten konnte.
    Sie erreichten den Zwinger unter einem heftigen Blitz, die Luft zischte und knisterte, ohne Abstand folgte ein Donnerschlag wie von Thors Hammer, so gewaltig, dass er sie in die Knie zwang. Instinktiv ließen sie sich in den Matsch fallen und zogen die Köpfe ein. Die Luft erzitterte, Schallwellen drangen durch seinen geöffneten Mund in Sebastians Körper, ließen seine Lunge beben.
    »Mein Gott!«, brüllte Edgar gegen den Sturm.
    Irgendwo vorn an der Straße stürzte ein Baum um. Sie konnten es nicht sehen, aber hören. Ein zerreißendes Krachen, Splittern und Knirschen. Taifun bellte nicht mehr. Er hatte sie bemerkt, drängte sich in ihrer Nähe gegen das
Gitter und winselte. Im Licht der Taschenlampen glühten seine Augen, seine Nackenhaare standen zu Berge. Im Windschutz des Zwingers drängten Sebastian und Edgar sich zusammen. Sebastian steckte seine Finger durch das Gitter und ließ sie von Taifun ablecken.
    »Wir lassen ihn raus und sehen dann nach den Pferden«, rief Edgar.
    Sebastian nickte, ging zur Tür des Zwingers und öffnete sie. Sofort drängte Taifun hinaus. Sebastian wollte den Hund noch am Halsband festhalten, verfehlte ihn aber. Unter wütendem Gekläffe preschte der Schäferhund los, kümmerte sich nicht um Sturm und Regen. Seine fliegenden Hinterläufe verschwanden in der nassen Dunkelheit.
    »Lass ihn«, rief Edgar. »Wenn da jemand ist, wird er ihn schon verjagen. Gehen wir nach den Pferden sehen.«
    Als sie aus dem Schutz des Zwingers traten, schlug der Sturm ihnen den Regen ins Gesicht, dass es wehtat. Nur fünfzig Meter waren es bis zum Stall, normalerweise keine Entfernung, doch in dieser Nacht war nichts normal. Der Weg erschien Sebastian endlos. Keiner ihrer Schritte brachte sie wirklich vorwärts, sie kämpften gegen den Matsch, den Sturm, den peitschenden Regen. Und gegen die Angst. Zumindest bei Sebastian, der hinter Edgar ging, war es so. Es war nicht die Angst vor dem Gewitter – die war hier draußen viel besser zu ertragen als drinnen -, sondern die Angst vor dem Unbekannten. Vor dem, was in der Dunkelheit lauerte, was Taifun so in Rage versetzt hatte. Mehr als einmal drehte Sebastian sich abrupt um, leuchtete in die fließende Wand. Da war nichts zu sehen, und doch wurde er das Gefühl, verfolgt zu werden, nicht los.
    Erschöpft und nach Atem ringend erreichten sie die Nordwand des Stallgebäudes. Da der Wind von Südwest
kam, bot die hohe Giebelwand ihnen Schutz. Sie lehnten sich flach mit dem Rücken dagegen.
    »Unglaublich«, keuchte Edgar. »So etwas habe ich noch nie erlebt.«
    Sebastian nickte nur. Ihm fehlten die Worte. Er sorgte sich um Taifun, längst war sein Bellen

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