Haeppchenweise
ständig und in allen Einzelheiten ausgemalt und nachts sogar davon geträumt. Er hätte gedacht, dass sich das Fracksausen in Jørgensens Augen irgendwie ... befriedigender anfühlen würde. Dass er vollkommen anders empfindet, darauf ist Julius nicht vorbereitet. Obwohl er es hätte wissen müssen.
„Versprich mir etwas, Julius.“
„Versprochen.“
„Willst du nicht erst wissen, was?“ Lydia lächelte.
„Ich versprech dir den Himmel, wenn´s sein muss.“
„Sei jetzt mal ernst“, kicherte sie, „und schau mich nicht so an.“
Er konnte sich nie entscheiden, welches ihrer Augen ihm besser gefiel. Das Linke, das ihn an die glänzenden Schuppen einer Forelle erinnerte? Oder doch das Rechte, bernsteinfarben wie ein Kandiszuckerstück?
„Ich bin ernst.“
„Vergiss ihn nicht, alter Brummbär.“
„Warum sprecht ihr Frauen ständig in Rätseln?“ Er liebte ihr Lachen. „Was soll ich nicht vergessen?“
„Den Grund, weshalb ich dich geheiratet habe.“
„Jetzt bin ich gespannt.“
„Dein Mitgefühl, Julius. Auch wenn du es pausenlos leugnest, ist genau das deine größte Gabe ... und wahrscheinlich dein Fluch. Vergiss das nicht. Versprich mir das.“
Es waren nicht ihre letzten Worte gewesen. Nur die Letzten, an die er sich erinnern kann. „Ich verspreche es, Lydia.“
Julius schiebt die Schokoladenküchlein in den Ofen und ordnet die feuerfesten Förmchen so an, dass Ober- und Unterhitze sie gleichmäßig erwärmen. Stellt die Uhr ein, vergewissert sich, dass er die richtige Temperatur gewählt hat. Dann richtet er sich auf und beobachtet seinen Konkurrenten. Noch immer empfindet er nichts.
Der Däne beugt sich verkniffen über seine Rührschüssel, greift nach einer Gewürzdose, stellt sie beiseite und fischt eine andere heraus. Der Zimtstreuer verharrt, Mats runzelt die Stirn. Zum unzähligsten Mal wischt er mit dem Halstuch über seinen Nacken, seine Brust hebt und senkt sich heftig.
„Vergiss das nicht. Versprich mir das.“
Zu seinem Erstaunen setzen sich seine Beine in Bewegung, als gehören sie ihm nicht. Im Publikum herrscht Totenstille. Er erreicht die fremde Küchenzeile. Mats schaut auf, Panik im Blick. Nach der Scharlacherkrankung hatte sein Freund monatelang unter Albträumen gelitten, wie er ihm damals anvertraut hatte.
„Hau ab, Zander!“, blafft er, rutscht mit dem Vanilleschaber ab und schwarze Krümel verteilen sich auf der Arbeitsplatte. „Verdammt!“
„... und wahrscheinlich dein Fluch.“
Julius greift nach seiner Gewürzkiste.
„Eine Prise Muskatblüte, zwei Prisen Zimt und nur eine halbe Vanilleschote. Von den Nelken zwei, die dürften ausreichen.“
Mats begafft die Dosen, die Julius vor der Teigschüssel aufreiht. Sein Schweiß übertüncht sogar das teure Rasierwasser. Noch immer dieselbe Marke.
„Ich will deine Hilfe nicht, du Penner!“
„Lass gut sein.“ Julius fischt zwei Stängel aus der Nelkendose und schiebt die Blechbüchse aus Mats´ Reichweite. In den Zuschauerreihen breitet sich Unruhe aus. Mats Augen funkeln hasserfüllt.
„Kümmer dich gefälligst um deinen eigenen Kram!“
„Ich tue nichts anderes, Kollege.“ Julius lächelt milde und schlendert zurück zu seinen Fondants. Zeit, nach vorn zu schauen.
„Oh nein ... warum hat er das gemacht?“
Henry ist kalkweiß geworden. Sie sitzt vornübergebeugt auf ihrem Stuhl, stützt sich auf ihre Ellbogen, die Finger ineinander verschränkt wie zum Gebet.
Auf dem Jurypodest hat Anne Liesch mit Argusaugen den Zwischenfall in der Starcooks-Zeile verfolgt und spielt nun mit ihrem Kugelschreiber herum. Das leise „ Tocktock“ scheint den ganzen Saal zu füllen.
Erstaunlicherweise bin ich vollkommen ruhig, als habe das Geschehen nicht das Geringste mit mir zu tun. Obwohl ich Julius zu diesem Zeitpunkt völlig andere Gefühle entgegen bringen müsste, beeindruckt mich dieser Mann, der nun wie Rumpelstilzchen vor dem Ofen hockt und seine Schokoküchlein beschattet.
„Und wenn schon. Julius ist und bleibt der Bessere. In jeder Hinsicht“, sage ich aufmunternd und mehr in Henrys Richtung, als zu mir selbst – und hoffe inbrünstig, dass sein Großmut nicht nur mein Herz berührt.
„Herr Zander? Kommen Sie bitte zur Jury. Und der Herr Jørgensen darf gleich mitkommen.“ Die Kochbuchautorin klingt beunruhigend autoritär.
Julius drückt die Knie durch und schlendert zum Podium, während Mats Hilfe suchen zu Novela schaut. Doch der stützt das Kinn in die Hände und winkt ab
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