Haeppchenweise
– Jørgensen bleibt nichts anderes übrig, als der Bitte, die eindeutig nicht als solche gemeint war, nachzukommen.
„Meine Herren, ich werde das Gefühl nicht los, dass es sich hier nicht um einen Kochwettbewerb, sondern um etwas Persönliches handelt. Sollte ich mit Letzterem richtig liegen, frage ich mich, weshalb sie sich für ihre Streiterei ausgerechnet eine öffentliche Plattform gesucht haben, statt in irgendeiner Spelunke eine Schlägerei anzuzetteln. Das wäre für alle Beteiligten das Beste, vor allem für Frau Lehner.“
Ihre bebrillten Augen bohren sich in Julius Kochjackenmanschette. Julius und Mats wechseln einen Blick. Mein Koch wirkt eingeschüchtert, worüber ich mich unter normalen Umständen köstlich amüsiert hätte. Jetzt allerdings sinke ich automatisch tiefer in meinen Stuhl, als gelte mir die Schelte.
„Es ist nichts Persönliches.“ Jørgensen begutachtet missmutig die Holzmaserung des Jurypults.
„Er meint, nicht mehr. Wir haben das ausgetragen.“ Julius hebt das Kinn, während Mats bereits wieder rot anläuft.
Die Liesch hebt die Brauen und schiebt ihr Brillengestell auf die Nasenspitze.
„Ich nehme das so hin, Herr Zander, auch wenn mein Eindruck ein völlig anderer ist. Trotzdem möchte ich sie beide nochmal daran erinnern, weshalb sie eine Kochjacke mit einem aufgestickten Stern tragen.“
„Jawoll, Madam.“
„Gut. Ich freue mich auf das Dessert.“
Sie hat das Wort Dessert kaum ausgesprochen, als Julius erbleicht.
„Kruzi... Sch... Scheibenkleister!“ Er dreht auf dem Absatz um und stürzt in seine Küchenzeile – begleitet von Jørgensens hämischem Gelächter.
„Oh nein!“, wispere ich, während Henry wimmernd in sich zusammensinkt und Julia die Hand vor den Mund schlägt. Britta schaut verständnislos um sich.
„Was ist denn jetzt schon wieder?!“
„Die Fondants ... sieben Minuten ...“ Ich starre auf meine Armbanduhr.
„Sieben Minuten was??“
„Die Schokoküchlein sollen innen flüssig bleiben. Deshalb dürfen sie nur kurz gebacken werden ...“.
Meine Zunge fühlt sich an wie in Blei gegossen, und ich schmecke Blut. Offenbar habe ich mir in die Lippe gebissen. Gleichzeitig beginnt meine Bauchdecke, zu beben. Das lautlose Lachen bleibt an meinem Kehlkopf hängen und verheddert sich dort haltlos. Armselige fünf Minuten trennen unseren sicheren Sieg von der staubtrockenen Niederlage.
„Oha. Da ist was schiefgelaufen“, frohlockt Novela, plötzlich munter geworden, und schlägt auf seinem Hocker die Beine übereinander.
Es zerreißt mir das Herz, Julius zusehen zu müssen, wie er sich schwerfällig bückt, um das Backblech aus dem Ofen zu ziehen. Die appetitlich aussehenden, dunkelbraunen Schokoküchlein erzittern, Julius schreit auf und lässt das Ofenblech auf die Arbeitsplatte fallen. Erst jetzt registriere ich, dass er das Blech mit bloßen Händen angefasst hat. Er schließt die Augen, eine Träne rinnt seine Wange herab. Trotz der sicher schmerzhaften Verbrennungen tastet er nach einem Messer, um ein Fondant anzuschneiden. Ich erhebe mich instinktiv von meinem Sitz.
Die betroffenen Mienen der Jury nehme ich nur durch einen Schleier wahr, ebenso die flüsternden, gesichtslosen Stimmen aus dem Halbdunkel, während ich mich an bestrumpften und behosten Knien vorbeitaste. Endlich betrete ich den Mittelgang. Zehn Schritte, sechs Stufen. Der verhasste Lichtkegel, und die Holzdielen knarren unter meinen Füßen. Diesmal stolpere ich nicht. Julius gekrümmter Rücken, der an eine überdimensionale Garnele erinnert und der typische Geruch aus Tabak und Kräutern, der von ihm aufsteigt. Überdeutlich erkenne ich die aufgestellten Härchen auf Julius Fingern, die Klinge umfassend, ein schwebendes Standbild über den schicksalhaften Küchlein. Dann liegt meine Hand auf seiner.
„Wir machen das gemeinsam.“ Meine Stimme klingt fest und warm.
Julius sieht auf. Dieselben fiebrigen Augen im Schockzustand von Hunds letzten Minuten. Aus dem Augenwinkel registriere ich eine Bewegung in meinem Rücken. Henry, Melitta, Julia und Friedrich sind mir gefolgt und bilden einen schützenden Halbkreis zwischen unserer Niederlage und den Kameraobjektiven.
„Täräh!“ Das Starcookjingle spielt zur letzten Werbepause auf.
„Wir machen das gemeinsam“, wiederhole ich und lächle. Atme aus und drücke behutsam seinen Handrücken nach unten.
Novela: Vivo TV, Produktionsleitung?
Weiss: Was zum Henker veranstalten Sie da, Novela?!
Novela: Frau
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