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Haeppchenweise

Haeppchenweise

Titel: Haeppchenweise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia_Winter
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viel, wie ich vom Topflappenhäkeln. Stattdessen murmeln sie und glotzen. Die entrüstete Miene des Rentners, der fast seine Kamera fallen lässt, als mein Ellbogen seine Nieren trifft, erfüllt mich mit finsterer Genugtuung. Ich begreife nicht, wieso Leute ...
    Ein Auto steht quer auf der Mittellinie. Eine ältere Frau flüstert einer Zweiten zu: „Wieso war der Hund auch nicht angeleint! Geschieht dem Alten ganz recht. Der Fahrer konnt´ gar nicht bremsen, selbst wenn er gewollt hätt´!“
    Die andere nickt beipflichtend. „Überhaupt keine Hunde sollte man in der Stadt halten! Die kacken doch den kompletten Gehsteig voll!“ Schiebt das haarige Kinn vor und schaut Beifall heischend umher.
    Ich stelle mich auf die Fußspitzen und erhasche einen Blick auf ein Paar ausgetretene Schnürschuhe. In meinem Hinterkopf blitzt Erkennen auf. Mir wird eiskalt. Grob zwänge ich mich an den Krähen vorbei, bringe die eine fast zu Fall.
    „Der rannte einfach über die Straße, weil er den anderen Köter gesehn hat, da konnte niemand ... junge Frau, passen se doch auf!“
    Oh mein Gott. Plötzlich stehe ich in der Mitte des Pulks, das Bündel Mensch zu meinen Füßen. Die leibgewordene Erinnerung an den Obdachlosen, den sie einst „kleiner Mann“ nannten, zieht meinen Brustkorb zusammen. Ich spüre Asphalt unter den Knien, der in meine Haut ritzt. Vorsichtig berühre ich die bebende Schulter. Ein aschfahles, tränenüberströmtes Gesicht schaut zu mir hoch.
    „Julius ...“ flüstere ich.
    Er drückt ein schwarzes Knäuel an sich. Das Fell, das ich heute Früh noch gebürstet habe, ist blutverklebt. In den nach oben gedrehten Augäpfeln ist kein Leben mehr. Mir wird übel, als ich begreife.
     
    Jemand ergreift meinen Arm und ich komme mit zittrigen Knien auf die Füße. Sofort wehre ich mich gegen die Umklammerung, möchte Julius hinterherlaufen, der taumelnd in der Menschenmenge verschwindet, als nach dem Notarztwagen nun auch die Polizei eintrifft.
    „Katta, lass ihn gehen“, flüstert Julia und führt mich auf den Gehsteig.
    Wie betäubt sehe ich an mir herunter. Meine Hände, Knie und mein T-Shirt sind voller Blut. „Sein Fell war aber doch noch ganz warm! Vielleicht ...“ Ich winde mich aus ihrer Umarmung. Der Duft ihres Veilchenparfums mischt sich mit dem metallenen Geruch, der auf meinen Handflächen klebt.
    „Hund ist tot, Katta. Sie bringen ihn schon weg.“
    Mein Mund öffnet sich, aber als ich in Julias Gesicht schaue, vergesse ich, was ich sagen wollte. „Ich brauche ein frisches Shirt“, erwidere ich hölzern. Sie nickt, lässt meinen Arm los. Die jungen Kerle lungern immer noch an Ort und Stelle herum, glotzen und machen dämliche Witze.
    „Die Show ist vorbei, verschwindet!“ Julias Lippen sind zu einem schmalen Strich verzogen, als sie mich durch die betreten dreinschauenden Passanten hindurchlotst, die sich allmählich verstreuen.
    Die Stille, die uns beim Eintreten ins Cook & Chill empfängt, ist eine Wohltat, obwohl es nicht still sein sollte. Julia führt mich zum Sofa, huscht hinaus und kehrt mit einem sauberen Hemd aus meinem Spind zurück. Legt es behutsam in meinen Schoß und macht sich sofort hinter der Theke zu schaffen. Minuten später stehen ein Milchkaffee und ein halbes Wasserglas Ramazotti vor mir. Bis dato habe ich nicht einen Muskel bewegt, starre nur auf das blütenweiße Stück Stoff auf meinen aufgeschürften Knien.
    „Sind alle Gäste bedient?“ Ich kann den Blick nicht von den rotbraunen Rändern um meine Fingernägel abwenden.
    „Heute ist niemand gekommen“, antwortet Julia leise.
    Ob man Blutflecken aus Seide herausbekommt? Ich angele nach meiner Handtasche, die Julia an die Stuhllehne gehängt hat, und schalte mein Telefon an. Es teilt mir vier unbeantwortete Anrufe und drei ungelesene Nachrichten mit, allesamt von Felix. Ich lege das Mobiltelefon auf den Tisch und mustere es angeekelt.
    „Frau Lehner?“
    Die fremde Stimme klingt nasal und zähflüssig. Ich hebe den Kopf.
    Vor mir steht ein dicker, schwitzender Mann im Anzug, unter seiner Achsel klemmt eine Aktentasche. Er starrt abwechselnd auf meine Hände und meine blutverschmierte Brust - und räuspert sich.
    „Günter Riemschneid, Gerichtsvollzieher.“
    Julia guckt wie Rotkäppchen, das gerade dem Wolf begegnet ist. Ich betrachte schweigend seine schwarz-gelb gestreifte Krawatte und denke an Hummeln. Dann beginne ich, zu lachen.
     
    *
     
    Ich mache kein Licht, als ich den Hausflur betrete. Exakt 125 Stufen

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