Haeppchenweise
führen zu unserer Wohnung hinauf. Der Aufzug benötigt sechs Sekunden. Heute wende ich mich der Treppe zu, die sich wie ein Schlauch ins Dunkel windet. Oben angekommen rast mein Puls und meine Knie sind butterweich.
Felix fläzt bei herabgedimmter Wandbeleuchtung in seinem Fernsehsessel herum und sieht die Spätnachrichten. Ihn dort sitzen zu sehen, mit dieser niedlichen Denkerfurche in der Stirn, die randlose Brille auf der Nase, die er aus Eitelkeit nur zu Hause trägt, trifft mich. Mein zukünftiger Ex-Lebensabschnittsgefährte. Hätte nicht gedacht, dass der Abschnitt so kurz sein würde.
Meine Fingernägel bohren sich in den Türrahmen und verursachen ein hässliches Kratzgeräusch. Felix Kopf dreht sich sofort in meine Richtung, er erhebt sich besorgt.
„Was ist passiert?!“
Ich zucke vor seinen ausgebreiteten Armen zurück und bringe mit einem hastigen Schritt Abstand zwischen uns.
„Wo warst du heute?“ Meine Stimme klingt kalt, seine Schultern sinken herab.
„Was meinst du damit?“ fragt er und vergräbt seine Hände in den Hosentaschen.
„Wo. Warst. Du.“
„Ich habe mehrmals versucht, dich zu erreichen.“ Etwas flackert in seinem Blick.
„Und ich habe dich in der Stadt gesehen!“
„Was ist los mit dir? Spionierst du mir hinterher?“
Ich lache hysterisch auf.
„Ist es nötig, dass ich das tue, Felix? Warst du wieder mit Andreas unterwegs? Oder sollte ich deinen Kumpel lieber Andrea nennen?!“
Er mustert mich schweigend und wendet sich jäh ab.
„Und was die überschwängliche Bedienung mit dem lila Lippenstift angeht – seit wann stellen die im „Früh“ Frauen ein? Ich dachte, in kölschen Brauhäusern arbeiten nur Männer!“
„Du bist vollkommen daneben“, murmelt er und sinkt in seinen Sessel, die Augen fest auf den Bildschirm gerichtet.
„Keine Antwort ist auch eine! Hast du deinen Strafzettel eigentlich schon bezahlt?“, gifte ich ihn an, woraufhin er noch tiefer in seinen Sitz rutscht. Die Sprungfeder quietscht in das eintönige Murmeln des Nachrichtensprechers. Felix´ Miene zeigt keinerlei Regung, bis auf die winzige, pochende Ader an seinem Kiefermuskel.
„Wir reden morgen. Vielleicht bist du bis dahin klaren Verstandes, Süße.“
„Du kannst mich!“
Abrupt kehre ich ihm den Rücken. Die Träne wische ich erst von meiner Wange, nachdem ich die Badezimmertür hinter mir zugeknallt habe.
Fette Fische
Ein Topf rote Linsen spielt die tragende Rolle in dem Geschwisterstreit zwischen Esau und seinem Zwillingsbruder Jakob. Letzteren wurmte es mächtig, dass er sein Erstgeburtsrecht verpasst hatte, weil er eine Minute jünger als sein Bruder war. Jakob griff in die Trickkiste: Als Esau eines Abends müde vom Feld heimkehrte, brutzelte auf dem Herd ein köstliches Linsengericht. „Den kriegst du, wenn du mir das Erstgeborenenrecht abtrittst“, sagte Jakob und der hungrige Esau winkte unbekümmert ab. So ein Anrecht füllte schließlich keinen Magen. „Kannst du haben, gib schon her das rote Zeug!“ Von diesem Tag an hatte Esau sein Erstgeburtsrecht verwirkt. (Aus 1. Buch Mose, 25, 29-34)
Es tröstet mich irgendwie, Bernadette zu sehen, als ich die Augen aufschlage. Die Amsel ist braun gesprenkelt und so fett, dass ich immer befürchte, sie kippt gleich vom Sims. Pünktlich um halb acht schnäbelt sie wie ein ungeduldiger Besucher gegen die Scheibe und gibt ein entrüstetes „Heepheep?“ von sich. Vermutlich baut sie in der Dachgaube ihr Nest und gönnt sich vor meinem Schlafzimmerfenster eine Auszeit von ihrer Brut. Komischerweise habe ich mich an das eitle Stück gewöhnt, das in Wirklichkeit nur sein eigenes Spiegelbild bewundert. Und da ich ungern auf vertraute Dinge verzichte, fing ich an, Sonnenblumenkerne auf die Fensterbank zu streuen.
Die Stille in der Wohnung spricht für sich. Felix hat auf der Couch genächtigt und sich offenbar in aller Früh verdrückt. Ob ich gestern nicht doch einen Tick zu weit gegangen bin? Abrupt setze ich mich auf und schleudere die Decke über das Fußende des Bettrahmens. Schaue auf den Boden, als ich an der Hundedecke vorbei in Richtung Bad tapse. Zwischenstation am Kaffeevollautomaten, banges Schielen zur Kühlschranktür. Puh! Da klebt ein kleiner, gelber Zettel.
„Müssen reden. Heute Abend um 9 bei Antoine? Felix.“
Die Frau, der ich zehn Schritte später im Badspiegel begegne, ist fünf Jahre älter als ich und käseweiß, sieht man von den dunklen Augenringen ab. Eine einzige Augenbraue
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