Haeppchenweise
seinen Rucksack und taucht in der Menschenmenge Richtung stadteinwärts unter. Ich zögere einen Wimpernschlag, merke mir die verschlungene Zwölf an der Tür und den Straßenschild „Münzgasse“ an der Hauswand, zähle bis drei ... und nehme mit klopfendem Herzen die Verfolgung auf.
Ich fühle mich vollkommen substanzlos. Meine Hände und Füße scheinen nicht zu mir zu gehören, mein eigener Herzschlag braust in meinen Ohren, während ich vorwärtsstolpere. Zum ersten Mal empfinde ich Geborgenheit im Gedrängel der Fußgängerzone, trotz der Ellbogenstöße und Beschimpfungen der Passanten, die ich versehentlich anremple.
Seit zwanzig Minuten folge ich Felix durch die verwinkelten Gassen der Altstadt, die Augen starr auf die winzige kahle Stelle auf seinem Hinterkopf gerichtet. Er schreitet zügig aus, ohne sich umzusehen. In der Hohe Straße verliere ich ihn im Gewühl. Gerade, als ich aufgeben will, entdecke ich ihn vor der Auslage eines Juweliergeschäfts.
Schnaufend sinke ich in die Hocke, drösele meine Schnürsenkel auf und binde sie mit zittrigen Fingern erneut. Exakt in diesem Moment klingelt mein Telefon. Mit gesenktem Blick klemme ich den Hörer in die Kuhle zwischen Kinn und Schulter.
„Katta?!“, kräht Brittas durchdringende Stimme in mein Ohr.
„Was willst du? Ich bin beschäftigt!“ Eine Schlaufe zu ziehen ist in meiner verrenkten Haltung ein Ding der Unmöglichkeit.
„Überraschung! Hab´ mir Gedanken über Smörrebröd gemacht und hatte einen genialen Einfall!“
Wieder entgleitet mir der Schnürsenkel, ich stöhne auf.
„Kann das nicht warten? Ich ...“
„Ich hab Karten für Jørgensens Kochshow! Wir betrinken uns, verkleiden uns als Playboy-Häschen und nehmen diesen Verlierer unauffällig unter die Lupe!“
Endlich gelingt mir eine traurige Schleife. Sicherheitshalber setze ich noch einen Knoten darauf.
„Britta, ich habe Wichtigeres zu tun, als mir live mit anzusehen, wie der Fiesling all das perfekt hinbekommt, was mir misslingt!“
Ihre Widerworte würge ich per Knopfdruck ab. Als ich aufschaue, hat sich mein Puls auf zweckmäßige 160 Schläge pro Minute gesenkt. Und Felix ist spurlos verschwunden.
Ich durchquere die halbe Altstadt, bis ich die Münzgasse finde, in der mein Auto parkt. Sinke erschöpft auf den Fahrersitz meines Fiestas, drehe den Zündschlüssel und starre auf das Lenkrad, der Motor orgelt ins Leere. Ich fühle nichts, während mein Hirn verzweifelt nach einer Erklärung für Felix´ seltsames Verhalten der letzten Wochen sucht, die harmloser daherkommt, als der Gedanke an eine Affäre.
Meine Handtasche klingelt. Blind wühle ich nach meinem Mobiltelefon und glotze auf das Display, in dem die vertraute Nummer blinkt. Ob er mich anruft, um mir zu sagen, dass er mich vermisst? Ich lache auf. Die Vorstellung ist absurd, schlichtweg aus Liebe entstandener Bockmist. Entschlossen drückt mein Daumen auf die Betriebstaste, was ich sofort bereue. Offensichtlich ist es mein Schicksal, mit Dingen, an die ich mein Herz hänge, eine Niederlage zu erleiden. Energisch setze ich den Wagen zurück und schere nach links aus.
Hundert Meter vor dem Cook & Chill kommt der Verkehr zum Erliegen. Entnervt presse ich meinen Handballen auf die Hupe. Das tue ich lange. Die Autotür des vor mir stehenden Fiats öffnet sich, der Fahrer beugt sich heraus und zeigt mir einen Vogel.
Es rumst leicht, als ich in die knappe Parklücke steuere. Ich löse den Sicherheitsgurt und drehe die Zündung aus. Von hier aus sichte ich bereits die Eingangstreppe meines Buchladens, da kann ich den Rest ebenso gut zu Fuß gehen. Vor mir hat sich eine Menschentraube gebildet. Jemand schreit. Vermutlich ein Betrunkener. Oder die Straßenbahn hat den Postboten diesmal endgültig erwischt.
Weitere Passanten bleiben stehen, recken die Hälse und machen jeden meiner Versuche zunichte, mich durch die Leiber zu drücken.
„Entschuldigung? Darf ich bitte? Ich müsste ... sorry, ich arbeite da vorn!“
Ich schiebe eine beleibte Frau beiseite, die mich empört ankeift: „He! Ich stand zuerst hier! Suchens sich ´nen anderen Platz!“
Sekundenlang entsteht eine Lücke in der Wand aus schwitzenden T-Shirts, Hemden und Hosenbeinen. Mitten auf der Fahrbahn kauert ein Mann, der zweifellos Hilfe braucht.
Ich drängele mich zwischen zwei gestandenen Kerlen hindurch, die mit hängenden Armen rumstehen und keinerlei Anstalten machen, dem Verzweifelten zu helfen. Von Zivilcourage verstehen die so
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