Haeppchenweise
Ehrlich nicht.
Unterdessen bequemt sich der Minutenzeiger im Schneckentempo auf zehn Uhr zu. Ich fühle mich wie eine zwangseingewiesene Psychiatrie-Insassin, die die erste Attraktion des Tages in Form zweier halbmondförmiger Brotscheiben hinter sich gebracht hat und nun ungeduldig auf den zweiten Höhepunkt wartet: das aluminiumverpackte Mittagessen. Bis dahin bleibt mir nur das obligatorische Vormittagsnickerchen.
Julius schiebt die Brauen zusammen, bis ein plüschiger Donnerkeil seine Stirn in zwei Hälften spaltet. Julia mustert ängstlich das Faltengesicht, das sich soeben über den Cateringvertrag beugt, als stelle es die Echtheit von Frau Lohrischs Unterschrift infrage. Hoffentlich kommt er nicht auf die Idee, mit Daumen und Spucke an der Tinte zu reiben!
„Kannst du mir helfen? Bitte!“
Helga, die ellbogentief in ihrer Mehlschüssel stakt, wirft Henry einen bedeutungsschwangeren Blick zu, die neuerdings jede freie Minute im Cook & Chill verbringt. Eine feine Röte zeichnet sich am Halsansatz unter Julius´ Kochjackenkragen ab, die wie die Quecksilberskala eines Thermometers in die Höhe steigt, das man über eine brennende Kerze hält. Sein Atem bringt die Papiere auf der Arbeitsplatte zum Flattern, raschelnde Vorboten der Absage an das unerhörte Gesuch. Julia sinkt auf den Küchenhocker. Sie wird der Cateringkundin absagen müssen.
Helgas üppiger Busen hebt und senkt sich einen Vorwurf breit.
„Maach dir keene Sorgen, Mädchen. Dat kreegt dä Julius hin. Nid wohr, ming Lievchen?“ Julius´ Brauenkeil vertieft sich, während Henry so tut, als sei sie ganz und gar mit Kartoffelschälen beschäftigt.
„Natürlich ... Lievchen!“, knirscht Julius endlich in Helgas Sanftmut – und in Muhs Gebimmel hinein.
„Kundschaft!!“ Julia schnellt von ihrem Hocker, legt jedoch auf halbem Weg eine Vollbremsung ein. Läuft zurück und umarmt Julius, kurz und heftig.
„Danke!“ Sie drückt einen Kuss in den Bart, der nach Bratfett und Zwiebeln riecht. Nickt Helga zu, erwidert Henrys verschwörerisches Zwinkern – und huscht in den Buchladen.
„Dafür habe ich was gut bei dir, Frau Krause.“ Julius starrt missmutig die geschlossene Tür an. Helga lacht nur.
„Isch streich ed von deiner Abbitten-List, Herr Zander.“
Seine Tochter grinst, bemerkt seinen Blick und schaut fix beiseite.
„Und du, junge Dame?! Musst du nicht auf die Wache?“
„Nachtschicht.“ Ihr Kartoffelschäler kommt zum Stillstand. „Wie wär´s, wenn wir gemeinsam überlegen, wie dieses Hochzeitsbüffet aussehen könnte?“
„Wir?“
„Na klar. Sollst dich auf deine alten Tage schließlich nicht überanstrengen.“
„Vorsicht, Mädel!“ Julius hebt den Schaumlöffel. „Dir koche ich locker einen vor. Mit dem kleinen Finger. Nebenbei!“
„Hab nie das Gegenteil behauptet. Ich glaube bloß nicht, dass dein kleiner Finger scharf darauf ist, für 400 Mann Kartoffeln zu schälen, nebenbei.“ Ihr Messer kreist in der Luft und stoppt auf Höhe seines Bauchnabels.
„Fragt sich, ob das jetzt ein Angebot oder eine Drohung sein soll ...“ Julius schielt zur Kuchenecke, wo Helga dem armen Strudelteig mit ihren gesamten Pfunden zu Leibe rückt.
Erneut wird die Tür aufgerissen, Julias käsiges Gesichtchen lugt herein. Sie sieht aus, als sei ihr Jørgensen persönlich auf den Fersen.
„Herrgott Julia, beruhig dich. Ich hab doch gesagt, dass ich dir ...“
Das Mädel legt beschwörend den Finger auf die Lippen.
„Kommst du bitte mal ins Bistro, Julius?“, flüstert sie und reißt die hübschen Augen noch weiter auf. Helga schaut auf, Henriette erhebt sich alarmiert von ihrem Schemel. Automatisch krempelt Julius die Hemdsärmel auf.
Aber zu seiner Enttäuschung lungert kein feister Sternekoch in seinem Revier herum. Auch keine Spur von diesem damischen Gerichtsvollzieher, dem er gern mal einen seiner Kuckucks auf die Stirn pappen würde. Stattdessen hat sich an der Theke ein Grüppchen unrasierter Menschen mit hängenden Hosenböden versammelt, die er auch ohne Filmkamera sofort in die passende Branche gesteckt hätte. Dieser Novela fackelt nicht lange.
Ein Mädel mit Zöpfen – offenbar die, die in dem ungewaschenen Haufen das Sagen hat – tritt mit kessem Lächeln und ausgestreckter Hand auf ihn zu.
„Hi! Wir soll´n hier ne Lifedoku drehn.“ Plopp!
Er starrt auf ihr Kinn, an dem die Reste einer giftgrünen Kaugummiblase kleben. In seinem Rücken erklingt ein unterdrücktes Kichern.
„Henriette, geh noch
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