Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Haeppchenweise

Haeppchenweise

Titel: Haeppchenweise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia_Winter
Vom Netzwerk:
Halluzination fröhlich. „Du fragst dich, wieso strickt die Oma mitten im Sommer einen Winterschal.“
    Ich schüttle den Kopf. Eine schlaue Entgegnung fällt mir gerade nicht ein.
    „Ist sehr entspannend. Solltest du auch mal probieren“, trällert das Trugbild.
    „Ich soll Stricken?!“
    „Aber ja, Kind. Oder hast du ...“ Nun der altbekannte, tadelnde Blick von schräg unten. „... derzeit Besseres zu tun?“
    Ich lache auf. Nein, das kann ich auch mit allerbestem Gewissen nicht behaupten. Doch selbst wenn ich wollte, meine Gipswurst stünde einer solchen Betätigung eindeutig im Weg. Also schüttele ich erneut den Kopf und halte zur Bekräftigung meinen Arm in die Höhe. Louise lächelt nur milde.
    „Eine dumme Ausrede. Wie all die anderen, mit denen du dich vor Verantwortung drückst.“
    Is klar. Jetzt ist sie einen Tick zu weit gegangen!
    „Habe ich nach deinem Rat gefragt? Soweit ich weiß, bist du Schriftstellerin, keine Psychotherapeutin!“, blaffe ich und drehe automatisch den Kopf zum Fernseher.
    „Natürlich hast du.“
    „Du bist ein Hirngespinst. Verschwinde zurück in deinen Bilderrahmen, dort vermisst man dich bestimmt schon.“
    „Katharina Lehner!“, mahnt sie streng. „Jede Masche fügt sich unwillkürlich zu einem Muster zusammen. Du solltest rasch die wieder aufnehmen, die dir unterwegs verloren gegangen sind, bevor sich dein Schal in einen Haufen loser Wollfäden auflöst. Noch einmal kann ich dir nicht helfen.“
    „Ach, halt die Klappe!“
    Beruhigenderweise verschwindet Louise tatsächlich, als ich den Kopfhörer aufsetze. Und macht dem schlafenden Gesicht einer Achtzigjährigen Platz, die ich noch nie in meinem Leben gesehen habe.
     
    Das deutsche Vormittagsprogramm ist weder interessant noch lehrreich. Kreischende Teens lassen sich per Lügendetektor beim Fremdgehen erwischen, Psychologen erinnern Rabenmütter an ihre Pflichten und Laiendarsteller schwören auf nachgestellten Gerichtsverhandlungen, ihren Chef nicht ermordet zu haben. Die Bandbreite der sinnfreien Zeitvergeudung ist endlos. Und peinlich. Auf jedem Sender. Und natürlich wird gekocht, was das Zeug hält, mit Prominenten und Sternekoch, während sich Moderatoren ein gepflegtes Gläschen hinter die Binde kippen und das Publikum entzückt zur Plastikgabel greift. Sogar in Restaurantküchen wird live gedreht, das verwackelte Konterfei eines Küchenmeisters in Nahaufnahme, der mich entfernt an ... Moment!
    Mein Daumen drückt krampfhaft die Programmtaste rückwärts.
    „Das gibt´s doch nicht!“
    Ich starre auf den Bildschirm. Das ist meine Küchenabzugshaube! Mein Herd ... und mein Kühlschrank! Und die heisere Stimme, die da aus den Lautsprechern kommt, stammt eindeutig von meinem Küchenchef!
    „Warum ich das Kochen an den Nagel gehängt habe? Sehen Sie ... jeder, der sein Leben einer Sache verschreibt, kommt irgendwann an den Punkt, an dem er sich entweder auf dem Erreichten ausruht oder den Drahtseilakt versucht. Eigentlich hatte ich Ersteres geplant. Ich hatte einen gut bezahlten Job und einen erstklassigen Ruf, eine Frau, die ich geliebt habe ... und eine kleine Tochter.“
    „Was ist passiert?“ , zwitschert ein aufgeregtes Stimmchen im Hintergrund.
    Ich setze mich auf und drehe die Lautstärke höher.
    „Meine Frau wurde krank.“
    Der Kameramann schwenkt gekonnt in das Gesicht meines Kochs. Eine feine Gänsehaut kribbelt meine Arme hinauf. Betont verschämt wischt Julius ein Tränchen ab, das zwischen seinen Wimpern hängt.
    „Sie haben aufgegeben.“
    „Wäre das nicht zu einfach?“
    „Es wäre verständlich.“
    „Ich habe nie aufgegeben, sondern bis zuletzt um Lydias Leben gekämpft. Das war das Problem. Weil ich mich alles andere nicht mehr kümmerte, ergriff jemand die Chance, auf die er gewartet hatte ...“
    Geschickt, Julius. Die gekünstelte Pause lässt dem Zuschauer genügend Zeit, um darauf zu kommen, dass etwas faul sein könnte. Die Moderatorin schnappt blind nach dem Köder.
    „ Heißt das, Sie wurden betrogen?!“
    „Sagen wir, es gab eine Person, der jedes Mittel recht war, um meinen Platz einzunehmen.“
    „Wer war er … oder sie?“
    Für einen Sekundenbruchteil denke ich tatsächlich, er gibt den Namen preis.
    „Habe ich Ihnen eigentlich schon meine Tochter vorgestellt?“ , antwortet Julius stattdessen mit priesterlicher Miene, ohne auf die Frage einzugehen. Die Kamera folgt seinem ausgestreckten Finger und kommt auf Henrys verblüfftem Gesicht zum Stillstand. Zu

Weitere Kostenlose Bücher