Haeppchenweise
ein Kilo Kartoffeln schälen. Wir haben Gäste.“
Das Gekicher bricht ab. Dann wendet er sich mit dem freundlichsten Gesicht, das ihm auf die Schnelle möglich ist, dem Kaugummi kauenden Gör zu.
Zum ersten Mal in seinem Leben verspürt Julius in einer Küche Platzangst. Die Fernsehleute haben überall Scheinwerfer aufgestellt und meterlange Stolperfallen ausgerollt. Bei jedem Schritt verheddert er sich in irgendeinem Kabel, stößt gegen einen Lampenständer oder rempelt eine schlaksige Gestalt an. Er traut sich kaum vom Herd weg, also rührt er mit an die Seiten gepressten Ellbogen in seinem Topf. Es ist unerträglich heiß in dem Raum, seine Kochjacke klebt an seinem Rücken und das Scheinwerferlicht macht ihn fast blind, sodass er raten muss, nach welcher Gewürzdose er greift.
Er blinzelt zur Glaswand. Im Bistro rennt Julia mit roten Backen hin und her, verfolgt von dem tablettbalancierenden Friedrich Busch, der wohl gerade auf seine Mittagspause verzichtet. Offenbar locken die Filmkameras zahllose Neugierige in das Cook & Chill. Eine Bestellung nach der anderen landet auf seinem Reißbrett, während sich die Gaffer die Nasen an der Küchenscheibe plattdrücken.
Spätestens jedoch, als das Kaugummigör seinen Fragenkatalog auspackt, bezweifelt Julius, ob es sonderlich schlau von ihm war, diesen Medienhaien seine Geister in den Rachen zu werfen.
„Herr Zander, vor rund zwanzig Jahren waren Sie eine Art ‚kleiner Gott des großen Genusses‘. Was ist seitdem passiert?“
Der geriffelte Tonkopf des Mikrofons glotzt ihn wie ein riesiges Fassettenauge an.
„Ich kann Spinnen nicht leiden.“
„Wie bitte?“
„Das Ding da. Sieht aus wie ´ne Schwarze Witwe“, brummt er.
„Das ist ein Handmikrofon, Herr Zander.“
„Schon klar.“
„Alles Okay?“
Vielleicht liegt es an der Mädchenstimme, die genau wie Henriettes klingt. Womöglich auch an Lydias zweifarbigen Augen im Gesicht seiner Tochter, die jede seiner Bewegungen verfolgen. Das Adrenalin, das eben noch wie Alkohol durch seine Adern jagte, verflüchtigt sich. Ein Schleier verschluckt die Stimmen und die Störgeräusche, plötzlich kann er wieder atmen. Er schielt zu Henriette, entnimmt der Schublade einen Löffel und taucht ihn in den randvollen Topf.
„Kennen Sie das Geheimnis einer gelungenen Bratensoße?“
„Die riecht lecker.“ Das Kaugummimädchen rückt neugierig näher.
„Probieren Sie. Sagen Sie mir, was Sie schmecken.“
Sie lässt sich Zeit mit der Antwort, das gefällt ihm.
„Wein?“
„Was noch?“
„Fleisch?“
„Hm hm.“
„Salz, Pfeffer ... Zwiebeln vielleicht?“
„Vergessen Sie, was Sie wissen. Hören Sie auf Ihre Zunge.“
Aus dem Augenwinkel beobachtet er, wie Henriettes Oberkörper sich nach vorne beugt, als fürchte sie, etwas zu verpassen. Das feine Lächeln auf ihrem Mund verursacht ein komisches Ziehen in seiner Brust.
„Da ist noch ein anderer Geschmack!“ Überrascht reißt das Kaugummigör die Augen auf. „Zucker?!“
Er schnalzt zustimmend. „Ich bin und war nie ein Gott, sondern ein neugieriger Mensch mit Freude an einer Sache. Jeder, der ein gutes Essen zu schätzen weiß, kann kochen. Wenn er will. Und nun stellen Sie mir eine Frage, die Sie wirklich interessiert.“
Etwas wie Verstehen huscht über ihre Sommersprossen.
„Wann haben Sie aufgehört, sich zu freuen?“
„Binden Sie eine Schürze um. Wenn ich mich schon vor Ihnen nackig mache, können Sie auch gleich was dabei lernen. Und nimm gefälligst den Kaugummi aus der Futterluke!“
Mir war klar, dass ich als einfache Kassenpatientin nicht ewig in den Genuss eines Einzelzimmers kommen würde, egal wie viel Mutti der Stationsschwester zugesteckt hat. Dass allerdings die alte Dame, die man heimlich während meines Nickerchens in meinem Zimmer geparkt hat, diese verblüffende Ähnlichkeit mit Louise von Stetten besitzen muss, finde ich mehr als unfair. Ich kneife die Lider zusammen und hoffe, dass es sich lediglich um eine optische Täuschung handelt. Leider spricht die Fata Morgana sogar.
„Guten Morgen, Kindchen. Oder besser, Mittag!“
Ich öffne vorsichtig ein Auge. Okay, auch wenn sie ihre Stimme hat, meine Louise hat nie gelächelt. Nicht mal aus Versehen.
„Hallo“, murmele ich. Bei genauerem Hinsehen hat Louise früher auch nicht gestrickt. Ein flinkes Nadelpaar klappert in ihren Händen und ein bunt gestreifter Schal bedeckt fast die Hälfte ihres Bettes.
„Ich weiß, was du denkst“, sagt die
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