Haertetest
vergessen? Es stand rot und dick in unserem Familienkalender! Und ich hatte ein Herz dazugemalt. So wie die letzten sechs Monate auch. Baby machen! stand da.
»Ich bin fruchtbar! Das hab ich dir doch letzte Woche schon gesagt! Wir müssen morgen Sex haben!«
Ich klang jammerig und ärgerte mich darüber. Zum Glück sah und hörte mich hier niemand. Ich hatte nur Angst, dass der Rattengestank sich für immer in meine Klamotten und meine Haare eingraben würde.
Jonas stöhnte genervt. »Ach ja, müssen wir das?«
Jetzt war er derjenige mit dem ironischen Unterton. »Du weißt, was ich davon halte, mit unseren sogenannten Terminen. Und es ist ja auch Quatsch, wenn du dann sowieso richtig arbeiten willst. Schatz, ich muss jetzt echt aufhören. Bis später. Ich liebe dich.«
Tat er das wirklich? Wenn er mich so von oben herab behandelte? War das neu, oder war es mir nur vorher nie aufgefallen? Er nahm mich anscheinend überhaupt nicht ernst.
»Ich liebe dich auch«, murmelte ich, aber er hatte schon aufgelegt. Ich hätte ihm gerne noch so vieles gesagt. Dass er mir fehlte, dass es reichte, wenn wir nur mal wieder kuschelten, dass ich ihn mit dem Baby nicht unter Druck setzen wollte – aber der Hörer war tot, Jonas war schon wieder weit weg. Fröstelnd und froh, dem Verwesungsgestank zu entkommen, ging ich zurück in die Redaktion.
Auf der Rückfahrt nach Pinneberg riss mich ein Anruf aus meinem meditativen Fahrstil. Es regnete immer noch, und das hypnotische Pendeln der Scheibenwischer hatte mich, ähnlich einem Metronom, allmählich eingelullt.
Ich war auf dem Weg zum Kindergarten, um Maja abzuholen. Danach mussten wir zum Schwimmkurs. Von dem neuen Jobangebot noch völlig beeindruckt, war ich ganz in Gedanken versunken, wie ich die Zeitschrift umstrukturieren würde, als mich Majas Ruf »Maaamaaa, Telefon!« den ich als Anrufsignal gespeichert hatte, aus meiner Traumwelt herauskatapultierte.
Erschrocken trat ich auf die Bremse, fuhr meinem Vordermann auf der Autobahn nur knapp hinten nicht drauf und angelte mein Telefon vom Beifahrersitz. Lilly stand auf dem Display.
»Hallo?«, rief ich ins Telefon. Für eine Freisprechanlage hatte ich mich noch nie erwärmen können.
»Ich muss dir was erzählen!«, rief Lilly zurück. Mir fiel fast das Ohr ab, sodass ich das Handy weit von mir hielt. Ihr »aber du bist noch unterwegs, oder?« schallte laut aus dem Handy.
»Ja. Was ist denn los?«, entgegnete ich.
Sie wusste, dass ich prinzipiell auch während der Fahrt ans Telefon ging und schimpfte deswegen oft mit mir. Es war ja auch nicht ganz ungefährlich. Aber ganz gleich, was sie mir erzählen wollte: Ich hatte ihr auch was Tolles zu berichten!
»Kann ich jetzt nicht erzählen, so am Telefon. Ich wollte das lieber persönlich machen.«
»Was?«
Wieso das denn? Sonst erzählten wir uns doch auch alles am Telefon, eigentlich jede Kleinigkeit. »Ich bin gleich zu Hause. Was ist denn passiert? Du klingst ja ganz – aufgeregt!«
»Ja, bin ich auch. Ich bin irgendwie ziemlich durcheinander.«
Okay, das war nicht unbedingt etwas Neues. Lilly war tatsächlich in bestimmten Lebenssituationen öfter mal etwas durcheinander. Darin war sie mir eindeutig sehr ähnlich. Ich kannte niemanden, der so vergesslich und schusselig war wie ich. Nur Lilly übertraf mich noch. Das Schöne war, dass es ihr trotzdem nichts ausmachte und ich lernte, meine eigene Schusseligkeit dadurch besser anzunehmen.
Sie vergaß regelmäßig Arzttermine, ließ beim Einkaufen ihr Portemonnaie zu Hause liegen, versuchte mit längst abgelaufenen EC -Karten oder ihrer Krankenkassenkarte bei IKEA zu bezahlen, während hinter ihr 1500 Menschen in der Schlange warteten, oder stand einen Tag vor meinem Geburtstag – den man sich, da es der 1.1. war, wirklich gut merken konnte – mit einer Torte vor meiner Tür und sang Happy Birthday. Seit ich sie kannte, also seit drei Jahren, sagte sie jedes Jahr: »Oh, entschuldige, ich denke immer, du hast Silvester Geburtstag!« Und ich sagte jedes Mal: »Nein, Schatz, es ist jedes Jahr an Neujahr.« Aber das war okay.
Sie klang allerdings nicht gerade glücklich, als sie fortfuhr: »Ich erzähl es dir wirklich lieber, wenn du zu Hause bist. Nicht, dass du dich so erschreckst, dass du noch jemandem hinten drauffährst.«
Jetzt war ich alarmiert. Was war denn los? Und was sollte die Geheimniskrämerei?
»Ich bin echt gespannt, Süße. Geht’s dir denn gut?«
»Ja, ja, alles
Weitere Kostenlose Bücher