Haertetest
okay. Fahr du mal weiter, nicht, dass noch was passiert.« Also, was das schon wieder heißen sollte! Als ob ich nicht Auto fahren könnte, wenn ich telefonierte.
Ich hatte nur einmal einen winzig kleinen Auffahrunfall gebaut, als ich sie am Telefon hatte. Das war aber auch nur, weil es regnete und mein Vordermann viel zu dicht vor mir fuhr! Und weil Lilly mir erzählen musste, dass ihre damalige Kollegin ein Kleid von ihr gestohlen hatte. Wirklich! Gestohlen! Lilly hatte es in deren Kleiderschrank entdeckt, es heimlich wieder an sich genommen, war nach Hause gefahren und hatte mich angerufen. Ich war so perplex gewesen, dass ich einfach zu bremsen vergaß, als ich die roten Lichter meines Vordermannes gesehen hatte.
»Ich muss dir nachher auch was erzählen. Was Tolles! Und dann noch … Äh, was nicht so Tolles.«
Jonas’ Reaktion auf Amelies Jobangebot wollte ich auch unbedingt mit ihr besprechen. Und dann könnte ich ihr auch gleich noch von Jessica erzählen. Von deren Existenz wusste Lilly nämlich noch gar nichts. Ich hatte das Thema bisher vermieden. Weil da nämlich nichts war.
Jetzt hatte ich aber doch so ein komisches Gefühl. Und Gefühle, das wussten wir doch alle, konnte man am besten mit Freundinnen besprechen. Dafür hatte man sie doch.
»Oh!«, sagte Lilly. »Okay … Ich bin auch gespannt.« Ich freute mich schon darauf, Lilly gleich zu sehen, wenn ich mit Maja nach Hause kam. Ach nein, der blöde Schwimmkurs! Fast hätte ich das vergessen!
»Nein, warte mal, das geht gar nicht, ich muss noch mit Maja zum Schwimmen! Sie macht doch Donnerstag ihr Seepferdchen. Komm doch heute Abend, so gegen halb neun, dann schläft sie bestimmt. Jonas hat heute sowieso Bandprobe, dann können wir ganz in Ruhe quatschen.«
»Okay. Ich freu mich!«
»Ich auch, bis später!«
»Und fahr vorsichtig, es regnet!«, lachte Lilly mit einem Augenzwinkern in der Stimme. Oder hieß das dann Stimmenzwinkern? Sie lachte jedenfalls süß, und ich wusste, was sie meinte.
»Ja, ja«, entgegnete ich und lachte auch. Wir legten auf, und ich dachte wieder einmal darüber nach, was für ein Glück ich hatte, jemanden wie Lilly gefunden zu habe.
Mit meiner ehemals besten Freundin Mona, mit der ich seit der Schulzeit durch dick und dünn gegangen war, hatte ich seit einem Jahr keinen Kontakt mehr. Sie war wohl immer noch Single und auf der Suche nach dem Richtigen. Meine Probleme mit Mann und Job und Kind konnte sie anscheinend nicht mehr nachvollziehen. Ich musste mir oft anhören, ich »hätte ja alles« und sollte lieber jeden Tag dazu nutzen, um wahnsinnig glücklich zu sein.
Natürlich war ich das ja auch irgendwie, aber ich ärgerte mich trotzdem ständig über mein Aussehen, meine Haare, meinen Mann, meine Tochter, meine Chefin, meine Kolleginnen und das Wetter, und es war mein gutes Recht, eine Freundin zu haben, bei der ich mich darüber ausheulen konnte. Seit ich verheiratet war, wollte Mona aber nur noch über ihre Liebesprobleme sprechen. Sobald ich erwähnte, dass ich vielleicht schlecht geschlafen hatte oder es mich traurig machte, dass Jonas so oft nicht zu Hause war, sagte sie, ich sollte nicht so rumjammern, sie wäre immerhin diejenige, die niemanden abkriegte.
Bei unserem letzten Telefonat vor einem Jahr hatte ich zu ihr gesagt, sie solle mal lieber froh sein, dass sie noch nicht verheiratet war und mit einem Kind zu Hause saß, da würden die Probleme nämlich erst richtig anfangen! Seitdem hatten wir uns nicht mehr gesprochen, und das war auch gut so.
Lilly war mit ihrem langweiligen Mann Holger vor drei Jahren in unsere Straße gezogen, das heißt, sie wohnte im Reihenhaus neben meinen Schwiegereltern. Jonas’ Eltern hatten uns das Haus vor vier Jahren zu Weihnachten geschenkt. Deshalb mussten wir uns nun zeit unseres Lebens dankbar zeigen und alles machen, was sie wollten. Tags wie nachts mussten wir leise sein, und wenn meinen Schwiegervater der Schatten unseres schönen Kirschbaums störte, musste Jonas ihn kurzerhand auf Kniehöhe absäbeln.
Lilly war einfach in mein Leben geflattert wie ein Schmetterling. Sie war mein Licht am Ende des Vorstadttunnels. Kinder hatte sie nicht, wartete aber so wie ich intensiv darauf, schwanger zu werden. Allerdings wartete sie nun schon über drei Jahre. Und ich hatte immerhin schon meine Maja.
Dass sie mit Holger vielleicht nicht den optimalen Fang gemacht hatte, zeigte sich meiner Meinung nach nicht nur darin, dass sie nicht schwanger wurde. Er war selten
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