Haertetest
Kuscheltermin morgen Abend denken. Und diesmal musste er einfach Zeit dafür haben. Und wach bleiben. Ohne ihn ging es nun mal nicht. Wir würden es mit dem Baby einfach weiter versuchen, neuer Job hin oder her. Unsere Familie war wichtiger als jede Arbeit, und eine kleine Seele, die noch draußen im Universum herumflog, wollte zu mir, das spürte ich.
Die Zeit lief mir davon, Maja wurde bald fünf, und ich fünfunddreißig – ewig konnten wir nicht warten. Meine Eizellen sahen in ihren Eierstöcken mit hochgezogenen Augenbrauen auf ihre Armbanduhren und warfen sich vielsagende Blicke zu. Und es war ja immer noch nicht gesagt, dass es klappte. Aber mit den Versuchen würde ich keineswegs aufhören!
Doch darum ging es nicht allein. Ich wollte mit Jonas kuscheln, mit ihm Zeit verbringen, ihm wieder nah sein. So wie früher. Ich hatte ihm so viel zu erzählen! Ich konnte es kaum abwarten, endlich mit ihm zu sprechen!
Draußen regnete es. Also konnte ich nicht mit dem Handy raus und ihn von dort anrufen. Die Mädels saßen in der Redaktion vor ihren Computern, also konnte ich hier auch nicht telefonieren. Tanja sah mich fragend an, und ich sagte nur: »Ach, sie hat mich für meinen Artikel gelobt!«
Das erklärte sicher meine geröteten Wangen und meine fröhliche Ausstrahlung. Man sah mir meine Laune einfach immer an. Ich konnte nie so tun, als wäre ich fröhlich, wenn ich es nicht war, oder als sei nichts, wenn doch etwas war.
Ein Lob von Amelie Winter gab es nicht oft, deshalb war meine Ausrede völlig plausibel. Tanja sagte höflich »oh, prima« und konzentrierte sich dann wieder auf ihren Text.
Vor den Mädels konnte ich nicht telefonieren. In den Regen wollte ich natürlich auch nicht. Im Treppenhaus war es mir zu unsicher. Also nahm ich mein Handy mit aufs Klo. Hier würde mich bestimmt niemand vermuten, und es würde mich auch ganz bestimmt niemand stören. Im Lüftungsschacht über den Damentoiletten war nämlich vor Kurzem eine Ratte gestorben und verbreitete posthum bestialischen Verwesungsgestank. Deshalb benutzten eigentlich alle die Klos im Marketing, auf denen es wegen unseres anhaltenden Kaffeekonsums zum Teil schon zu Staus kam. Nur im absoluten Notfall ging jemand auf das Rattenklo. So wie ich jetzt.
Ich holte tief Luft und öffnete die Tür.
Der Geruch war wirklich fast nicht auszuhalten. Und das Schlimmste war, dass sich niemand dafür verantwortlich fühlte, das tote Tier endlich aus den Röhren zu holen!
Wir Mädels waren deshalb letzte Woche schon geschlossen zum Betriebsrat marschiert. Herr Klawes hatte gelacht und das Ganze mit einem »Das gibt sich von selbst, wenn die Ratte verwest ist!« abgeschmettert. Man hätte sonst die ganze Lüftungsanlage abbauen müssen. Und das hätte »Milliarden« gekostet. Die Geschäftsführung wäre quasi gezwungen gewesen, Frau Merkel griechenlandmäßig um ein Darlehen zu bitten.
Jojo sah es als Einzige positiv: »Wenigstens lebt sie nicht mehr. Ich hasse Ratten.«
Na ja. Ich hasste tote Ratten noch viel mehr als lebende. Vor allem, wenn sie auf den Klos herumstanken.
Wegen des Geruchs blieben die zwei Toilettenfenster ständig geöffnet, trotzdem war das Aroma nach Kadaver und Kot mörderisch. Selbst wenn man draußen im Flur vorbeiging, konnte einem, wenn der Wind ungünstig stand, direkt schlecht werden. Hier würde ich auf jeden Fall meine Ruhe haben. Ich hielt meinen Ärmel vors Gesicht, bis ich am Fenster war, öffnete es und hielt meinen Kopf so weit nach draußen, dass ich Luft, aber keinen Regen abbekam. Ich atmete durch den Mund und wählte die eingespeicherte Nummer von Jonas’ Firma.
Nach dreimaligem Klingeln nahm endlich jemand ab.
»Jonas Ahorns Büro, hier ist Jessica«, flötete seine Praktikantin fröhlich. Auf ihr albernes Getue hatte ich im Moment wirklich keine Lust und konterte: »Sophie Ahorns Büro, hier ist Sophie. Kann ich bitte mal meinen Mann sprechen?«
Jessica kicherte. Ich fragte mich, was es da zu kichern gab. Ach so, sie dachte, ich machte einen lustigen Witz. Na, meinetwegen sollte sie das denken.
»Der ist gerade nicht am Platz«, zwitscherte sie, ungeachtet meiner Sachlichkeit.
Ach nee. Sonst wäre er ja vermutlich auch selber ans Telefon gegangen. Ich atmete tief durch. Zählen! erinnerte ich mich. Bis drei müsste reichen. Dann fragte ich honigsüß: »Könntest du ihm wohl ausrichten, dass ich angerufen habe?«
Es konnte sein, dass ich es mir einbildete, aber sie klang auf einmal sehr
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