Haertetest
erkannte aber nur mein eigenes Spiegelbild.
»Mach doch mal so!«, meinte Lilly und bewegte die Hände mystisch hin und her.
»Du musst aber noch einen Spruch dazu sagen! Ich weiß was! Wir verhexen Jessica! Sag mal einen Spruch!«
Lilly wusste als einziger Mensch auf der Welt, dass ich absoluter Bibi-Blocksberg-Fan war und fast jede Folge auswendig konnte. Es dürfte mir wohl nicht schwerfallen, mir einen Bibi-ähnlichen Spruch für die, deren Name nicht genannt werden darf, zu überlegen. Ich ging kurz in mich. Dann hob ich die Hände und versuchte, sehr hexisch auszusehen. Möchtegern-magisch ließ ich meine Hände über der Kristallkugel schweben und senkte die Stimme zu einem heiseren Flüstern: »Schlampenblut und Schneckengicht – Jessica hat jede Menge Pickel im Gesicht! Hex, hex!«
Lilly lachte laut: »Na, wenn schon, dann musst du ihr was Schlimmeres anhexen als Pickel im Gesicht. Hämorrhoiden oder so, aber richtig heftig, dass sie nicht mehr richtig sitzen kann! Oder schlimme Zahnschmerzen!«
Ich dachte noch über einen geeigneten Spruch nach, als die Tür aufschwang. Schnell nahm ich die Hände von der Kristallkugel und versuchte einen unschuldigen Gesichtsausdruck aufzusetzen. Das gab ich sofort wieder auf, da ich es ja hier mit einer Hellseherin zu tun hatte.
Dörte Meyer alias Marie Mondschein schwebte gut gelaunt in den Raum und füllte ihn sofort mit Wärme und Licht, allein durch ihre Erscheinung. In ihren weißen Leggins und dem langen, lila bedruckten Shirt sah sie eigentlich gar nicht besonders spirituell aus. Ich hatte eher erwartet, dass sie lange, wallende Gewänder trug. Die blonden Haare hatte sie aus dem Gesicht gekämmt und hinten zu einem Knoten zusammengefasst. Sehr schick.
Aber die Kristallkugel würde sicher ihre Dienste tun, und entweder sah Frau Mondschein darin die nächste Hochzeit, nämlich die von Henning und Lilly, oder eben nicht.
»Oh, jetzt geht’s los«, raunte ich dümmlich.
Frau Mondschein lächelte uns an.
»So da bin ich, entschuldigt, ich hatte noch ein ganz wichtiges Gespräch!«
Ja, das hatten wir ja gehört, das wichtige Gespräch. Ich warf Lilly einen Blick zu. Sie deutete auf die Kristallkugel.
»Benutzen Sie wirklich die Kugel? Das finde ich ja cool.«
»Ach nein, die ist nur Deko«, winkte Frau Mondschein ab. »Heutzutage arbeitet niemand mehr damit.«
Lilly zog so ein enttäuschtes Gesicht, dass ich fast gelacht hätte. Ich setzte mich an den Tisch. Jetzt warteten wir gespannt, was als Nächstes passierte.
Frau Mondschein – oder sollten wir sie Marie nennen? – ging im Raum herum und zündete an allen vier Wänden eine frische weiße Kerze an. Dabei sprach sie leise eine Beschwörungsformel oder so etwas. Ich kannte mich damit ja nicht aus, musste aber wohl ihr und Lilly vertrauen, dass wir es hier, wenn überhaupt, mit weißer, also guter Magie, zu tun hatten. Und dass wir keine Katzen oder Meerschweinchen opfern würden. Frau Mondschein sah mich an, als sie das Streichholz auspustete. Dann setzte sie sich zu uns an den Tisch.
»Herzlich willkommen erst mal, ihr beiden. Ich werde euch heute die Karten legen. Ich fühle, dass ihr beide eine Antwort von mir erwartet. Allerdings kann ich nicht versprechen, dass ich sie euch geben kann.«
Dann klatschte sie in die Hände und rieb sie aneinander wie beim Händewaschen. »Jetzt wollen wir uns bitte erst mal freiwaschen von negativen Energien!«
Oje, was? Wie, freiwaschen?
»Reibt ebenfalls eure Hände, bis sie ganz warm werden.«
Ich versuchte, nicht zu verwirrt auszusehen, und rieb meine Hände. Lilly auch. Wir sahen uns nicht an, sonst hätten wir mit Sicherheit losgeprustet.
Mit einer Bewegung, als würde sie ihr Gesicht waschen, strich Frau Mondschein sich langsam über den Kopf, die Haare, die Wangen und den Hals.
Dann schüttelte sie ihre Hände und bat uns, auch anzufangen. »Na los, die negativen Energien müssen raus. Ihr habt mehr als genug davon, die brauchen wir hier nicht.«
Sie lachte. Lilly und ich staunten. Aber wie gewünscht wuschen wir uns frei. Mir war das furchtbar peinlich, ich strich mir ganz schnell über Kopf, Gesicht und Hals. So, fertig, weg mit den negativen Energien. Ich traute mich immer noch nicht, Lilly anzusehen.
»Jetzt möchte ich mich in euch einfühlen.«
Wie bitte? Wie genau wollte sie sich in uns einfühlen? Ich fühlte mich auf jeden Fall völlig unsicher und fehl am Platz. War das alles richtig? Ich hätte mich doch vorher
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