Haertetest
mal im Internet schlau machen sollen, wie so ein Termin ablief. Dann wäre ich jetzt vielleicht nicht ganz so überrascht gewesen.
Marie Mondschein schloss die Augen. Offensichtlich wollte sie uns nicht anfassen zum Einfühlen. Glück gehabt.
Wie von Zauberhand wurde nun das Deckenlicht dunkler. Wow! Was für eine lustige kleine Showeinlage. Wahrscheinlich hatte sie unter dem Tisch einen Dimmer installiert, den sie betätigte, ohne dass wir es sehen konnten. Oder aber sie konnte das Licht allein durch die Kraft ihrer Gedanken beeinflussen. Das eine schien mir hier so gut möglich zu sein wie das andere. Die Wirkung war jedenfalls beeindruckend.
Die »Heilerin«, wie auf ihren Visitenkarten stand, sah im Schein der vier Kerzen auf einmal absolut jung aus, wie die Kindliche Kaiserin aus der Unendlichen Geschichte. Ihre Haut war weiß und absolut rein. Ich würde sie ja zu gerne mal nach ihrer Gesichtspflege fragen.
Sie hatte die Augen geschlossen und tauchte in sich selbst ein. Blonde Strähnchen hatten sich aus ihrem strengen Dutt gelöst und fielen ihr ins Gesicht. Auf einmal fand ich sie wunderschön und war bereit, ihr alles zu glauben, was ich hörte. Sie war definitiv eine sehr schöne, mystische Frau. Ob sie uns auch helfen konnte, stand aber noch in den Sternen.
Sie öffnete die Augen wieder und lächelte. Dann nahm sie ein bereitgelegtes Kartenset vom Tisch auf und fing an zu mischen. »Konzentriert euch bitte auf eure Frage.«
Sie sah uns nacheinander fest in die Augen. Ich bekam eine Gänsehaut. Und formulierte im Geist meine Frage.
»Lilly, bitte zieh mit der linken Hand eine Karte, schau sie nicht an, und leg sie verdeckt auf den Tisch.«
Lilly zog, schaute nicht und legte die Karte verdeckt auf den Tisch.
»Sophie, du bitte auch. Ich hoffe, das ist okay, wenn wir du sagen?« Natürlich. Ich zog ebenfalls, schaute nicht und legte meine Karte verdeckt auf den Tisch.
Die Wahrsagerin fing nun in Windeseile an, ihre Karten auf dem Tisch zu verteilen. Ich hatte früher auch schon mal Tarot gelegt, aber das war nur zum Spaß gewesen. Ich glaubte daran, so wie an Horoskope in der Zeitung. Also nicht allzu sehr. Wenn was Gutes drinstand, stimmte es, wenn nicht, dann war es eben blöder Mist, den die Praktikanten schreiben durften. Genauso verhielt es sich mit Tarot: Man konnte eine Tageskarte ziehen und dann im mitgelieferten Büchlein nachsehen, was das bedeutete.
Es kam dann so etwas dabei heraus wie, dass jemand meinen Weg kreuzen würde, den ich schon kannte (was ja durchaus im Bereich des Möglichen lag), oder dass ich, wenn ich geduldig genug war, bald einen Erfolg vorzuweisen hätte. Man konnte das nun glauben oder nicht. Und ich machte es wie immer, davon abhängig, ob es mir half oder nicht. Das hier war aber etwas völlig anderes. Das spürte ich. Die Frau meinte das wirklich ernst, was sie da tat. Falls Marie beim Kartenlegen irgendeinem System folgte, konnte ich es als Laie natürlich nicht erkennen.
Ungefähr dreißig Karten lagen auf dem Tisch, und Marie drehte sie in Windeseile und, wie mir schien, wild durcheinander und nicht eine nach der anderen um, bis sie in vier Reihen nebeneinander lagen.
Hier und da schob sie seufzend an einer Karte herum und murmelte: »Ach ja. Aha. Jaja« und so was. Dann ordnete sie ein paar Karten anders an und lächelte. Es schien Stunden zu dauern.
»Aha, das hab ich mir gedacht«, sagte sie schließlich zufrieden und klatschte in die Hände. Dann schaute sie uns einzeln und lange an.
»Sophie, deine Frage ist: Liebt mein Mann mich noch?«
Ich erschrak. Woher wusste sie das?
Ich hatte nichts gesagt. Dann stimmte es wohl doch, dass sie in uns hineinsehen konnte. Gruselig!
»Bitte dreh jetzt deine Karte um.«
Ich wendete artig meine Karte. Darauf war ein eng umschlungenes Pärchen zu sehen. Unter dem Bild stand »Die Liebenden«. Wie schön! Ich freute mich. Jonas und ich waren »Die Liebenden«, nichts anderes konnte es … Oh. Okay. Die Liebenden könnten genauso gut Jonas und Jessica sein. Ich zog eine Schnute.
»Hm, hm, hm«, summte Marie Mondschein vor sich hin.
Dann schob sie wieder einige Karten hin und her und sah Lilly aufmerksam an.
»Lilly, deine Frage ist: War meine Entscheidung richtig? Bitte dreh deine Karte um.«
Lilly wendete artig ihre Karte. Ich schlug mir die Hand vor den Mund. Vom Tisch starrte uns der Sensenmann entgegen. Genau in diesem Moment gongte eine Kirchturmglocke in der Nähe einmal düster. Ein Zeichen!
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