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Härtling, Peter

Härtling, Peter

Titel: Härtling, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hölderlin
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wollen?
    Aber nein. Nur hätte ich nicht gedacht –
    Daß ich mich für den Kant interessiere, nicht wahr?
    Verzeihen Sie –
    Wieso, Herr Magister, es muß ja nicht so sein; nur habe ich im letzten Jahr mich bemüht, die »Kritik der Urteilskraft« zu lesen, bin recht gut vorangekommen und unlängst sah ich Ihr Bändchen auf der Gartenbank und dachte mir, ich könnte es wieder einmal versuchen.
    Wollen Sie sich nicht setzen?
    Es wird gleich zum Abendessen gerufen.
    Ach ja.
    Er gibt ihr das Buch. Sie sagt: Aber hernach oder morgen könnten Sie mir, wenn es Ihnen keine Mühe macht, den Kant ein wenig erklären.
    Nach dem Essen?
    Gut.
    Es war ihm um eine Spur zu hastig gewesen. Sie ließ es sich nicht anmerken.
    Wenn ich nicht störe?
    Gewiß nicht. Ich würde mich freuen.
    Weshalb sollte er einen solchen Anfang mit Förmlichkeiten ersticken. Da der Major nach dem Abendbrot zum Plaudern einlud, konnte er seine Ungeduld kaum bändigen. Wilhelmine warf ihm mitunter beobachtende und beruhigende Blicke zu.
    Die Zeit wurde ihm lang, er antwortete unaufmerksam, der Major konstatierte nach einer Weile, die Beschäftigung mit Fritz habe den Magister heute wohl besonders müde gemacht.
    Sie reden dann gar nicht über Kant, sondern nur über Fritz, dessen Benehmen sie erstaune; wenn sie sich an die letzten Wochen mit Münch erinnere, fahre ihr jetzt noch der Schrecken in die Glieder.
    Ich kann mir das gar nicht denken.
    Man muß es auch sehen! Die Bösartigkeit entstellt ihn. Er ist nicht mehr bei Sinnen.
    Sie erzählt, wie er um sich schlägt, sich vorsätzlich beschmutzt, seinen Lehrer verleumdet, ihm alle erdenklichen Gemeinheiten nachredet.
    Und Münch?
    Er hat es erst im Guten versucht, dann hat er das Kind geprügelt, Tag für Tag.
    Und die Majorin?
    Sie hat es nicht mehr mit ansehen können. Sie ist verreist.
    Ich glaube nicht, daß er sich das bei mir erlaubt.
    Ich will es Ihnen wünschen.
    Sie geht, damit das Haus nicht falsch von ihnen denke. Aber nun spazieren sie häufig miteinander und Abend für Abend sehen sie sich.
    Sie sind vertraulich, doch sie vermeiden es, zärtlich zueinander zu sein. Er scheut sich vor allem, weil er ihre Trauer respektiert, ihr Andenken an den verstorbenen Mann. Bis er von ihr erfährt, daß sie nichts von ihm gehabt habe als ein ewiges Gezeter, Selbstmitleid und Krankheit.
    Er ist um so vieles älter gewesen als ich. Es wäre nicht schlimm gewesen, hätte er diesen Abstand an Wissen und Erfahrung nicht immer hervorgekehrt.
    Er liest vor, aus dem »Hyperion«, und Gedichte, die sie bereits kannte, denn Charlotte von Kalb hatte ihr den Stäudlinschen Almanach zu lesen gegeben.
    Es ist ein Glück, sagte sie, daß die Majorin Sie engagiert hat – für mich und vielleicht auch für Fritz.
    Noch ehe Charlotte von Kalb im März zurückkommt, Hölderlin ihre beherrschende, das Haus verwandelnde Gegenwart genießt, sich von ihrem Charme, ihrer Lebenslust mitreißen läßt, ihren »nach Umfang und Tiefe, und Feinheit, und Gewandheit ungewöhnlichen Geist« bewundert, noch ehe Charlotte dieses Verhältnis stören konnte, hatte er sich mit Wilhelmine eingelassen, ohne daß er, wie sonst, vor einer Bindung zurückschreckte, da Wilhelmine eigentümlich auf ihre eigene Freiheit bedacht war – und sei es nur ihm zuliebe.
    Manchmal hatte er ihre Hände gehalten, währenddem sie sprachen, mehr nicht.
    Wenn er wach war, dachte er an sie, sehnte sich nach ihrer Wärme, ihrem ungekünstelten Zutrauen.
    An einem Abend, sie kannten sich ungefähr drei Monate, sagte sie, sie wolle ein wenig länger bleiben, wenn er nichts dagegen einzuwenden habe.
    Sie sagt: Ich wünsche mir das schon lange.
    Er nickt nur.
    Sie sagt: Sie müssen nicht annehmen, daß ich unbedingt nach einem neuen Ehemann suche.
    Er sagt: Sie sind ja auch schon jemandem versprochen.
    Sie lacht. Das ist ein schönes Gerücht, das mich schützt.
    Er sagt: So haben Sie niemanden?
    Sie sagt: Ich habe Sie.
    Das macht ihm Angst.
    Sie merkt es, sagt: Jetzt hab ich Sie, für meine Zeit in Waltershausen. Für unsere Zeit.
    Sie zieht sich ohne Hast aus. Er sieht ihr konsterniert zu. Sie beobachtet ihn, nicht lauernd, sondern heiter und gelassen.
    Er denkt sich: Für sie ist das ja nicht neu. Und er will diesen Gedanken nicht denken.
    Kommen Sie, sagt sie. Ich kann nicht die ganze Nacht bleiben.
    Er löscht die beiden Öllampen, zieht sich aus, legt sich zu ihr. Sie ist anders, sie erschreckt ihn nicht, sie gehört ihm nicht, sie gehört zu ihm. Ihre

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