Härtling, Peter
ist überall zu finden, und, wenn’s darauf ankommt, nirgends zu erreichen. Der Major erscheint nur noch zu den Mahlzeiten. Fritz wird mit Verhaltensregeln traktiert. Das steigert die Nervosität des Buben. Noch ist Hölderlins Einfluß auf ihn so stark, daß er sich zur Ruhe rufen läßt.
Reg dich nicht auf. Bleib bei mir. Ich les dir vor.
Charlotte will Hölderlin dem Herzog vorstellen. Er hat von Ihnen gehört, von Ihren Dichtungen. Ich will ihn auf Sie neugierig machen. Sie vergißt es. Er hört Fritz lateinische Vokabeln ab; der Junge ist nicht imstande, sich mehr als drei oder vier Wörter zu merken, Hölderlin unterdrückt seinen Zorn, sieht zum Fenster hinaus: Im Park spazieren der Herzog, Charlotte, Major von Kalb und einiges Gefolge, darunter Wilhelmine. Charlotte wird ihn sicher zum Kaffee rufen. Sie tut es nicht. Die Chaisen fahren vor, er lauscht den Stimmen, geht zu Wilhelmine, die ihn fragt, weshalb er denn wieder so mürrisch sei.
Es ist nichts. Ich bin nur müde.
Er fragt sich, ob er Charlotte auf die Unterlassung ansprechen solle. Sie selbst kam nicht darauf. Gram konnte er ihr nicht sein. Als sie von Wilhelmine hörte, er lese Schillers »Anmut und Würde«, drängt sie ihn, jenes Stück aus seinem Roman, das er ihr vorgelesen habe, Schiller sofort zu schicken.
Ich fühle mich nicht sicher.
Seien Sie nicht so skrupulös.
Aber zu Schiller, der sich drei Tage, aus Schwaben nach Weimar zurückreisend, beim Herzog von Meiningen aufhält, nimmt sie ihn nicht mit. Wieder wagt er es nicht, sieausdrücklich zu bitten. Den großen Schiller will sie für sich haben, sagt Wilhelmine. Arglos sagt Charlotte nach der Heimkehr, Schiller und sie hätten sich ausführlich über ihn unterhalten, der Hofrat halte große Stücke auf ihn, er solle ihm, so bald wie möglich, das Romanfragment für die »Thalia« senden. Übrigens habe ich jenes Gedicht, das Sie mir unlängst abschrieben, an Herder geschickt. Sie sollen allen, die ich liebe und verehre, bekannt sein.
Warum beklagen Sie die einsame Lage, fragt Wilhelmine, wo sonst hätten wir uns finden können?
Es ist gut so. Doch ich muß mich auch beeilen, die Welt kennenzulernen.
Sie haben so viel Zeit.
Ich hab sie nicht. Das sagt er so entschieden, daß sie nicht weiter darüber spricht, sondern, für sich, die kurze Frist erwägt, die für ihre Liebe bleibt.
Endlich wird, für Pfingsten, die Aussicht geboten, Waltershausen für einige Tage zu verlassen. Charlotte will über das Fest mit der Familie nach Völkershausen in der Rhön zu ihrem Onkel, dem Freiherrn von Stein, reisen. Allein die Vorfreude auf diesen Ausflug erleichtert ihn, läßt den Unterricht für Fritz müheloser verlaufen.
In zwei Kutschen brachen sie auf. Fritz hatte darauf bestanden, bei ihm, Wilhelmine und der Dienerschaft zu sitzen. Charlotte gab nach. Der Bub hänge eben an ihm. Er hingegen hatte sich darauf gefreut, eine Zeitlang ohne das Kind sein zu können.
Unterwegs kam es zur ersten Machtprobe zwischen ihm und seinem Zögling. Zwar war mit keiner langen Fahrt zu rechnen, kaum mehr als ein halber Tag, und Fritz kannteden Weg; dennoch begann er nach kurzer Zeit zu quengeln. Hölderlin solle ihm vorlesen.
Ich habe kein Buch zur Hand.
Dann erfinden Sie eine Geschichte.
Ich möchte die Landschaft betrachten, Fritz. Diese Gegend kenne ich noch nicht.
Wilhelmine erklärte sich bereit, anstelle Hölderlins zu erzählen.
Deine Geschichten sind alleweil dumm.
Das war ungehörig, Fritz.
Vielleicht von Ihnen.
Bitte, hab Geduld, bald werden wir bei deinem Onkel sein. Kannst du uns nicht von ihm und seiner Familie erzählen, von deinen Cousins und Cousinen?
Ich mag sie allesamt nicht.
Das wirst du wohl so nicht sagen können.
Doch. Der Junge befahl, den Wagen anzuhalten. Ich will pausieren.
Das sei unmöglich, die Chaise mit den Eltern fahre ohnedies schon zu weit voraus und man würde es ihnen verübeln, kämen sie zu spät.
Hier sag ich, was gemacht wird.
Du irrst dich, sagt Wilhelmine, in dieser Kutsche bestimmt Herr Hölderlin. So hat es dein Vater gewünscht.
Ich, schrie Fritz, ich hab hier den Befehl.
Nun versuchten ihn auch Lisette und der Diener zu beschwichtigen.
Plötzlich klammerte Fritz sich weinerlich an Hölderlin, stieß mit den Füßen gegen die beiden, sagte, das Pack soll mich in Frieden lassen!
Er preßte das Kind zornig gegen sich, war nahe daran, es zu schlagen.
Er will mich prügeln, wie der Herr Münch!
Hölderlin ließ ihn erschrocken los, und
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