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Härtling, Peter

Härtling, Peter

Titel: Härtling, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hölderlin
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Lisette, sich das getretene Bein reibend, wünschte dem Jungen den eben beschworenen Herrn Münch zurück, denn bei ihm fruchteten die Geduld und die Liebe ja nichts, die der Herr Magister aufbringe.
    Schau, Fritz, sagte Hölderlin, nach draußen zeigend, ist das Bergland nicht schön? Da läßt es sich herumstreifen, da können wir Ritter spielen und aufregende Geschichten aus der alten Zeit ausdenken.
    Fritz achtete nicht auf ihn. Er war bleich geworden, sein Körper versteifte sich, er lag wie ein Brett. Zwischen seinen Lippen bildeten sich Bläschen. Es trat ein triumphierender Ausdruck auf sein von Gemeinheit früh gezeichnetes Gesicht. Die anderen wußten, was geschehen war. Hölderlin nicht. Er merkte es erst an dem abscheulichen Gestank. Fritz hatte in die Hosen gemacht.
    Hilflos sagt er: Ein so großer Junge wie du.
    Fritz fing an zu kreischen, zu lachen, sich in dem Kot hin- und herzuräkeln.
    Es ist wie früher, sagte Lisette traurig.
    Als der Weg einen Bach schnitt, ließ Wilhelmine den Wagen halten, Lisette ging mit dem Jungen zum Wasser hinunter – nein, nein, Herr Magister, mit Widrigkeiten dieser Art sollen Sie nicht belästigt sein – und wusch ihn. Der Gestank hatte sich im Wagen festgesetzt. Fritz blieb still, bis sie Völkershausen erreicht hatten.
    Charlotte, die über die Verspätung schimpfte, erfuhr von den Ärgernissen und bat Hölderlin inständig, es dem Jungen nicht anzurechnen. Es sei, hoffe sie, ein einmaliger Rückfall.
    Die kinderreiche Steinsche Familie erwies sich als einewahre Labsal. Ihre Unbekümmertheit schluckte alles. Fritz, der sich betont abseits halten wollte, wurde, ohne daß man lange verhandelte, in die tagelangen Spiele einbezogen, und die Erwachsenen unterhielten sich, ohne Anspruch. Dietrich Philipp August von Stein, allgemein der »Fürst der Rhön« genannt, legte Wert darauf, daß nicht allzu viel philosophiert, poetisiert werde, dazu sei er nicht ausgebildet, also erging man sich in Gruppen im Park, traf sich zum Essen, zum Wein, und Hölderlin hatte genügend Zeit, mit Wilhelmine allein zu sein.
    Da Fritz wohlversorgt und sicher froh sei, einige Zeit nicht unter seiner Fuchtel lernen zu müssen, bat er Charlotte um einige freie Tage. Er wolle, allein, in die Rhön wandern. Es sei eine gute Gelegenheit, zur Besinnung, auf neue Gedanken zu kommen. Eh die Familie abreiste, werde er sich wieder einstellen. Charlotte gestattete ihm den Ausflug nach einigem Hin und Her. Ihr wäre es im Grunde lieber gewesen, Fritz auch hier unter seinem »wohltuenden Einfluß« zu wissen. Aber vielleicht brauche er nach dem »Mißgeschick«, wie sie den Vorfall im Reisewagen bezeichnete, einen gewissen Abstand. Er ließ sich beim Wandern Zeit, rastete häufig, genoß die Ausblicke, wünschte manchmal Wilhelmine neben sich, empfand, zu seiner Überraschung, häufig Heimweh nach Nürtingen und auch nach Blaubeuren, nach Heinrike. »Neulich machte ich eine kleine Exkursion übers Rhöngebirge hinein ins Fulderland. Man glaubt auf den Schweizerbergen zu sein, den kolossalischen Höhen und reizenden fruchtbaren Tälern nach, wo die zerstreuten Häuserchen am Fuße der Berge, im Schatten der Tannen, unter Herden und Bächen liegen. Fuld (er meint Fulda) selbst hat auch eine recht liebliche Lage. Die Bergbewohner sind, wieüberall, etwas barsch und einfältig.« Das schreibt er, wieder in Waltershausen, an Hegel. Es ist, seit dem Fortgang aus Tübingen, der erste Brief an ihn. Es kann sein, er will den Freund mit seinen übertreibenden Schilderungen daran erinnern, wie er damals der Tübinger Runde von der Schweiz erzählt hatte, denn: »Ich bin gewiß, daß Du indessen zuweilen meiner gedachtest, seit wir mit der Losung – Reich Gottes! voneinander schieden«. Sicher ist aber, daß er sich mehr und mehr nach den alten Freunden sehnt, denen in Tübingen und Stuttgart, nicht nach dem Stift und dessen täglichen Pressionen, sondern nach dem Umgang, nach den gemeinsamen Aufregungen und Ansichten. Welchen Aufruhr hätte unter ihnen die Nachricht von Robespierres Hinrichtung ausgelöst! Hier, in Waltershausen, weicht Charlotte dem Gespräch über das Ereignis aus, die gräßlichen Franzosen versetzten ohnehin die ganze Welt in Unruhe! Wilhelmine, die von einem Streit mit ihrer Mutter geradezu aufgezehrt wird, will er damit nicht behelligen, und der Major kommentiert beim Mittagessen den Tod des Revolutionärs mit dem schlichten Satz: Gottlob, daß der Schurke hin ist. Er war versucht, dem

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