Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Härtling, Peter

Härtling, Peter

Titel: Härtling, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hölderlin
Vom Netzwerk:
leise, man darf uns nicht hören.
    Nein, das ganze Haus will unser Geheimnis wissen.

    Im Sommer mußte er einsehen, daß die Kraftprobe zwischen ihm und Fritz zu seinen Ungunsten ausgehen würde. Der Major hatte sich schon in den ersten Wochen, die Hölderlin in Waltershausen zubrachte, mehrfach in Andeutungen über unangenehme Eigenheiten des Kindes ergangen, worauf Hölderlin den Buben noch aufmerksamer beobachtete. Es fiel ihm nichts auf. Von den Frauen, Charlotte oder Wilhelmine, erfuhr er nichts dergleichen. Sicher, manchmal war Fritz bockig, heimtückisch, doch meistens anschmiegsam und auch lernwillig; allerdings merkte Hölderlin, daß es mit der Intelligenz des Kindes nicht weit her war. Es wollte auch nicht lernen. Er war sich nicht sicher, ob das Kind dumm war oder sich nur dumm stellte.
    Der verstärkte Widerstand des Jungen brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Er schrie Fritz öfter an, vermied es aber, sich an die Untaten Münchs erinnernd, ihn zu schlagen. Es konnte vorkommen, daß Fritz sich in seinem Zimmer einschloß und auch auf Bitten Hölderlins oder seiner Mutter nicht öffnete.
    Es ist wieder, wie es war, jammerte Charlotte. Das war für ihn ein Vorwurf.
    Wilhelmine, der er das sagte, beruhigte ihn: Der Junge ist unheilbar und ruiniert sich selbst.
    Weshalb, fragte er. Sie wissen mehr als ich.
    War dem so, verschwieg sie es ihm. Weshalb, verstand er, als er selbst darauf kam, als er Fritz bei dem von dem Major apostrophierten Laster erwischte.
    Er hatte vergessen, Fritz gute Nacht zu sagen, war – leise, um den Buben, falls er schon schliefe, nicht aufzuwecken – in dessen Zimmer gegangen. Fritz lag nackt auf dem Bett und befriedigte sich selbst. Er fuhr zusammen, zog sich hastig das Hemd über den Kopf, grinste hilflos. Hölderlin, betroffen und beschämt, sagte nur: Schlaf jetzt, Fritz. Gute Nacht. Nun wußte er, warum alle geschwiegen hatten. Darüber ließ sich nicht reden. Er gab dem Major anderntags zu erkennen, daß er über die »Krankheit« des Jungen Bescheid wisse. Der Major wiederum machte das offenbar Charlotte klar, denn sie zog Hölderlin gleichsam ins Vertrauen. Er solle den Jungen nicht mehr aus den Augen lassen. Er solle, wenn nötig, auch nachts bei ihm bleiben.
    Fritz dagegen, einmal gestellt, machte keinen Hehl mehr aus seiner verbotenen Freude. Ja, ich tu das. Ich mach das. Es ist schön. Wenn ich will, kann ich das oft. Es ist schön.
    Du wirst krank, beschwor ihn Hölderlin. Wenn du es argtreibst, wirst du schwach, wirst dich nicht mehr rühren können, kannst du sterben.
    Er fand es ekelhaft, mit dem Jungen darüber reden zu müssen. Er dachte, wie sie es in Denkendorf und Maulbronn getrieben hatten, nachts, in den Schlafsälen, sich gegenseitig anfeuernd, und daß Renz sich dabei besonders hervorgetan hatte. Keiner von ihnen war schwach oder gar siech geworden. Doch nach der medizinischen Lehrmeinung war Selbstbefriedigung ein gefährliches, Leib und Seele ausdörrendes Laster.
    Er konnte es nicht besser wissen, weil es seine Zeit nicht anders wußte (und wissen wollte). Hätten die Kalbs und ihre Hauslehrer, sage ich mir, nicht auf Fritz geachtet, ihn gewähren lassen, wäre er von dieser Lust bald abgekommen. So aber konnte er sich gegen seine Umgebung wehren, entzückte sich an ihrem Ekel und an ihrer Sorge. So war der Junge böser, finsterer, kranker Mittelpunkt.
    Er konnte mit Fritz nicht mehr unbefangen umgehen. Die »Erziehung« wurde zur täglichen und – immer häufiger – nächtlichen Qual. Der war er auf die Dauer nicht gewachsen. Er hatte den Eindruck, als übertrage sich die Krankheit des Kindes auf ihn. Selbst Wilhelmine gelang es nicht mehr, ihn abzulenken.
    Nach dem Unterricht machte er weite Wanderungen mit Fritz.
    Das könne ihm wohltun.
    Er ritt oft mit ihm aus.
    Er ging mit ihm schwimmen.
    Es half alles nichts.
    Während der Nachtwachen hatte er erst gelesen und war dabei eingeschlafen. Einmal hatte er die Flöte geholt und zu musizieren begonnen, was Fritz gefiel. Dabei könneman sich Sachen ausdenken, träumen. Von da an spielte er häufig.
    Der Frieden hielt nicht lange. Fritz begann seinen Lehrer schlecht zu machen. Er spiele nur den lieben Hölderlin. Er sei ein Säusler. Er rede dauernd unverständliches Zeug. Ich komme nicht mit ihm aus.
    Er lügt.
    Er verleumdet die Eltern.
    Das ist nicht wahr.
    Er geht nachts zu Frau Kirms aufs Zimmer.
    Sei still.
    Lassen Sie sich von ihm nicht verwirren, bittet ihn Charlotte. Sie müssen bei uns

Weitere Kostenlose Bücher