Härtling, Peter
einer Karte vom Ufer der Saale, / sie war in Kösen im Sommer zur Kur; / nun längst vergessen, erloschen die Ahne, / selbst ihre Handschrift, Graphologie, / Jahre des Werdens, Jahre der Wahne, / nur diese Worte vergesse ich nie.« Gottfried Benn hat die Verse geschrieben. »Vor uns im lieblichen Tale« hat sich mir eingeprägt, eine Floskel, die mir eine eigentümlich kindliche Wirklichkeit baut, Sommerfrischen-Landschaft.
Doch Hölderlin kommt nicht im Sommer nach Jena. Es ist Anfang November 1794. Sie haben auf der Reise gefroren, werden im Gartenhaus frieren, das sie vor dem Löbder Tor beziehen. Das Gartenhaus gehörte dem Buchhändler Voigt. Wahrscheinlich hatte Charlotte alles vorbereitet; sie kannte Voigt und dessen Leseinstitut, das Hölderlin im übrigen eifrig benutzte. Hölderlin mußte sich um die Mietdinge nicht kümmern, das Häuschen stand zur Verfügung. Ebenso war eine Bedienerin engagiert, die den Jungen versorgte, wenn Hölderlin außer Haus war. Er wollte Fichtes Vorlesungen hören und Schiller besuchen, wann immer es der Verehrte gestattete. Es waren nicht die einzigen Bekannten. Niethammer, den er aus Tübingen kannte, lehrte an der Universität Philosophie. Und Sinclair taucht bald auf.
Die Zeit in Jena beginnt jedoch mit einem Malheur, daser nicht wieder gutmachen kann und das Folgen hatte. Er fieberte darauf, Schiller zu sehen. Schon in den ersten Tagen hatte er sich mit einem Billett angesagt und zu seiner Freude sofort eine Einladung bekommen. Im Mai war Schiller, verdrossen über die Ludwigsburger Enge, nach Jena zurückgekehrt. Im Sommer hatte dann die denkwürdige Unterhaltung mit Goethe über die Urpflanze stattgefunden, die als Beginn der Freundschaft zwischen den beiden »Titanen« angesehen wird, und im September hatte sich Schiller bei Goethe in Weimar aufgehalten.
Goethe war fünfundvierzig, Schiller fünfunddreißig Jahre alt. Für den vierundzwanzigjährigen Hölderlin nicht nur berühmte, sondern gestandene, durchs Alter entfernte Männer. Sie waren ihm in allem voraus.
Neuffer beichtet er die unglückliche Geschichte: »Auch bei Schiller war ich schon einigemale, das erstemal eben nicht mit Glück. Ich trat hinein, wurde freundlich begrüßt, und bemerkte kaum im Hintergrunde einen Fremden, bei dem keine Miene, auch nachher lange kein Laut etwas Besonderes ahnden ließ. Schiller nannte mich, nannt ihn auch mir, aber ich verstand seinen Namen nicht. Kalt, fast ohne einen Blick auf ihn begrüßt ich ihn, und war einzig im Innern und Äußern mit Schiller beschäftigt; der Fremde sprach lange kein Wort. Schiller brachte die Thalia, wo ein Fragment von meinem Hyperion und mein Gedicht an das Schicksal gedruckt ist, und gab es mir. Da Schiller sich einen Augenblick darauf entfernte, nahm der Fremde das Journal vom Tische, wo ich stand, blätterte neben mir in dem Fragmente, und sprach kein Wort. Ich fühlt es, daß ich über und über rot wurde. Hätt ich gewußt, was ich jetzt weiß, ich wäre leichenblaßgeworden. Er wandte sich drauf zu mir, erkundigte sich nach der Frau von Kalb, nach der Gegend und den Nachbarn unseres Dorfs, und ich beantwortete das alles so einsilbig, als ich vielleicht selten gewohnt bin. Aber ich hatte einmal meine Unglücksstunde. Schiller kam wieder, wir sprachen über das Theater in Weimar, der Fremde ließ ein paar Worte fallen, die gewichtig genug waren, um mich etwas ahnden zu lassen. Aber ich ahndete nichts. Der Maler Meyer aus Weimar kam auch noch. Der Fremde unterhielt sich über manches mit ihm. Aber ich ahndete nichts. Ich ging, und erfuhr an demselben Tage im Klub der Professoren, was meinst Du? daß Goethe diesen Mittag bei Schiller gewesen sei. Der Himmel helfe mir, mein Unglück und meine Streiche gut zu machen, wenn ich nach Weimar komme.« Der Himmel half ihm nicht. Schiller, der helfen wollte, gelang keine Versöhnung. Wie muß Hölderlin auf Schiller fixiert gewesen sein! Mit welcher Hingabe muß er jedes Wort seines Protektors aufgenommen haben. Neben dem galt keiner. Und selbst ein Bedeutender wurde offenbar unscheinbar in Schillers Nähe. Kannte er kein Bild von Goethe? War ihm nicht aufgefallen, wie würdevoll der Mann auftrat, wie ostentativ bedeutend er sprach? Vielleicht ärgerte ihn gerade das. Daß sich einer bei seinem Schiller so aufblies. Mir erspart die groteske Episode, die womöglich eine sein Leben ändernde Verbindung zerstörte, den Weimarer in meine Erzählung aufnehmen zu müssen. Zwar wären leicht Zitate zu
Weitere Kostenlose Bücher