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Härtling, Peter

Härtling, Peter

Titel: Härtling, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hölderlin
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Jugend waltet / Noch über dir und mir.«
    Fritz murrte. Gegen die Reise habe er nichts; doch machte er sie lieber mit einem anderen Hofmeister.
    Der Major verdrosch ihn ausgiebig. Es half nichts. Oft kauerte er in einer Ecke der Stube, der Speichel troff ihm aus dem Mund, und er war nicht zu bewegen, auch nur ein Wort zu sagen.
    Dann schweig! Schweig! Solche Szenen raubten Hölderlin die Fassung.
    Ich bitte Sie, Herr Hölderlin, gehen Sie dennoch mit ihm fürsorglich um.
    Ich will es versuchen.
    Er hatte den Nachmittag vor der Abreise gepackt.
    Allein wanderte er durch den Park.
    Von fern sah das Scbloß anheimelnd aus: Dort möcht ich wohnen, arbeiten.
    Er hatte es probiert.
    Er besuchte Pfarrer Nenninger, sie tranken Bier, der Pfarrer bedauerte sein Scheiden: Mit wem soll ich mich in diesem verlassenen Nest unterhalten?
    Sie haben es auch vorher ertragen, mein Lieber.
    Ja, nun weiß ich aber, daß es besser sein kann.
    Er ging zu Josefine in die Küche, ließ sich ein Brot mit dem »göttlichen Gänseschmalz« streichen.
    Wo wird man mir das wieder auftischen?
    Josefine und Lisette hatten Tränen in den Augen.
    Der Major lud ihn zu einem zweiten Spaziergang ein. Sie gingen schweigsam nebeneinander her. Meine Geschichten kennen Sie ja schon alle, sagte der Major. Und hier erlebe ich nichts Neues.
    Charlotte versprach, möglichst bald nachzukommen.
    Der Wagen fahre um fünf Uhr vor. Die Reise dauere einen guten Tag. Die Pferde würden gewechselt, und der Junge müsse nach dem Mittagessen ruhen.
    Haben Sie schon gepackt? fragte Wilhelmine.
    Es ist alles fertig.
    Hier haben Sie noch den Kant. Ich brauch ihn nicht mehr.
    Wenn Sie das Buch nicht ausgelesen haben? Sie könnten es mir nachschicken.
    Nein. Danke.
    Sie war anders, riß ihn an sich, hielt ihn fest.
    Warum geben Sie mir nicht nach?
    Ich tu es doch, sagte er.
    Nein. Sie sind schon fort.
    Er schlief ein, obwohl er sich vorgenommen hatte, die Nacht mit ihr wach zu bleiben. Sie weckte ihn. Die Vögel schrien, die Luft war lau, es dämmerte.
    Sie müssen gehen. Der Wagen steht bereit. Frau von Kalb hat Fritz schon hinuntergebracht.
    Kommen Sie nicht mit nach unten?
    Sie schüttelt den Kopf, er nimmt den Koffer, ruft nach dem Diener, der offenbar bereitstand, sie schleppen den schweren Reisekasten gemeinsam die Treppe hinunter. Er hört, wie Wilhelmine die Tür schließt.
    Das ist vorüber, ohne daß er es so gewollt hatte.
    Fritz sitzt im Wagen, in Decken eingehüllt.
    Als er sich neben ihn setzt, rückt der Junge von ihm weg.
    Freust du dich auf die Reise, fragt er, bekommt keine Antwort.
    Charlotte, die ihm ein Bündel Briefe in die Hand gedrückt hatte, er möge sie in Weimar und Jena verteilen, winkt. Die Bäume nehmen ihm den Blick. Wilhelmine steht nicht am Fenster. Er lehnt sich zurück. Schließt die Augen.

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    V
    Die Großen von Weimar und Jena
    Manche der Städte, in denen er für eine Zeitlang lebte, kenne ich nicht, Jena zum Beispiel. Ich sehe mir Bilder an, Stiche aus seiner Zeit. Oft gleichen sich die Ansichten. Im Hintergrund die Stadt, eingebettet zwischen Hügeln und Baumgruppen, und am vorderen Rand des Bildes stecknadelgroße Spaziergänger, die sich zu malerischen Gruppen finden. Es ist hübsch, aber nicht anschaulich. Eine Photographie des Schlosses Waltershausen, in dem sich heute Postbeamte erholen, hilft mir mehr. Sie gibt nur den schlichten, dreistöckigen Bau wieder und ein verwildertes Stück des ehemaligen Parks. Ähnliche Gebäude kenne ich, sie lassen sich aus eigener Anschauung – vielleicht falsch – beleben.
    Welche Landschaft? Soll ich mir den Thüringer Wald so vorstellen wie den Harz, doch nicht so dunkel, so kompakt – eher wie die Schwäbische Alb? Wie den südlichen Schwarzwald? Ich muß mich an Hölderlin halten, er hilft mir, er weist hin. Ich sollte mich bemühen, so zu sehen wie er. Mein Blick hat vielleicht eine ähnliche Herkunft und Erinnerung: Er mißt das Neue an dem, was er kennt. Und das kenne ich auch: Die Silhouette der Schwäbischen Alb von Nürtingen, von Tübingen aus. Von demGartenhaus, das er zwei Monate gemeinsam mit Sinclair bewohnte, kann er »das ganze herrliche Tal der Saale« überschauen: »Es gleicht unserem Neckartale in Tübingen, nur daß die Jenischen Berge mehr Großes und Wunderbares haben.« Ich habe auch andere Zeilen im Gedächtnis, die nichts mit ihm zu tun haben, deren Pathos überzogen klingt: »›Jena vor uns im lieblichen Tale‹, / schrieb meine Mutter von einer Tour / auf

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