Härtling, Peter
finden, die ich Goethe sprechen lassen könnte, doch Entrückung und Gravität gehören nicht in die Geschichte Hölderlins. Goethe bleibt eine Randfigur, entgegen der Hoffnung Hölderlins. Kann es nicht auch sein, daß er den Gast instinktiv schnitt, daß sich etwas inihm gegen die Übermacht wehrte? Was dem, von Goethes Seite, folgte, war im Grunde eine Beleidigung nach der anderen. Und dies verzögert, erst nach drei Jahren. Hölderlin ist es nicht bekannt geworden, da sich der kurze Kampf um ihn und sein Fortkommen in einem Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe abspielte.
Er hatte Schiller zwei Gedichte zur Ansicht und zur Veröffentlichung geschickt – »An den Äther« und »Der Wanderer« – und der wiederum hatte sie, ohne den Autor zu nennen, an Goethe weitergegeben. Sie seien für den Almanach eingesandt worden. Goethe reagierte hinhaltend, einen Rat zu geben, traue er sich nicht: »Ich möchte sagen, in beiden Gedichten sind gute Ingredienzien zu einem Dichter, die aber allein keinen Dichter machen.« Dennoch meinte er, man solle den »Äther« in den Almanach, den »Wanderer« »gelegentlich« in die »Horen« aufnehmen. Was auch geschah. Schiller klärte, erfreut, daß Goethe seinem »Freunde und Schutzbefohlenen nicht ganz ungünstig« sei, auf, um wen es sich handle: Es ist »Hölderlin, den Sie vor etlich Jahren bei mir gesehen haben«. Goethe hat die sonderbare Begegnung nicht vergessen. Er war in seiner Eitelkeit verletzt worden. Er trägt nach. In seiner Antwort geht er auf den Hinweis nicht ein, schreibt den Namen nicht hin: Er läse aus den Gedichten eine Verwandtschaft zu Schiller, »allein sie haben weder die Fülle, noch die Stärke, noch die Tiefe Ihrer Arbeiten«. Im August 1797 hielt sich Goethe in seinem Vaterhaus in Frankfurt auf und Hölderlin durfte ihn besuchen: »Gestern ist auch Hölderlein bey mir gewesen, er sieht etwas gedrückt und kränklich aus, aber er ist wirklich liebenswürdig und mit Bescheidenheit, ja mit Ängstlichkeit offen … Ich habe ihm besondersgerathen, kleine Gedichte zu machen und sich zu jedem einen menschlich interessanten Gegenstand zu wählen.« Dieses Urteil wird immer dann zitiert, wenn man die Unvereinbarkeit von Genies verdeutlichen möchte. Man kann es sich auch weniger verstiegen erklären. Goethe hatte eben nicht vergessen. Der junge Mann erschien ihm, trotz aller Demut und Schüchternheit, überspannt, mit den Gedichten konnte er nichts anfangen, also hielt er Abstand, legte es mit dieser kühlen Charakterisierung auch Schiller nahe. Und Schiller zog sich zurück.
Hölderlin paßt nicht unter die Meister von Weimar. Die Ehrfurcht krümmt ihn, er wird klein, häßlich, tritt er vor die großen Herren, während seine Freunde von seiner Schönheit bewegt sind und von der Freiheit seines Wesens. So hat er die beiden Klassiker gestreift, ist von ihnen auch wahrgenommen, von dem einen, Schiller, sogar eine Zeitlang gefördert worden, doch erkannt haben sie ihn nicht. Er sprach eine andere Sprache als sie; er verstand seine Zeit anders. Er hatte keinen festen Grund unter den Füßen, er konnte nicht in Ruhe von Bürger zu Bürger reden – er war unterwegs und das beunruhigte jene, die sich sicher glaubten.
Noch Waiblinger erlebte es, daß der kranke alte Hölderlin außer sich geriet, wenn Goethes Name erwähnt wurde. Die freundliche Mißachtung hatte ihn fürs Leben verwundet.
In Jena raffte er erst einmal alle seine Zuversicht zusammen. Die Stadt glich Tübingen nicht. Hier beherrschte die Universität auch die Gesellschaft. Es gab keine Kluft zwischen Studenten und Bürgern. Die akademischen Zirkel übten im Gegenteil große Anziehung aus, machtenStimmung und Moden. Der Klub der Professoren stand den Interessierten offen, ein wenig namhaft mußten diese freilich schon sein. Salons entstanden, verschwanden rasch wieder. Man diskutierte über Philosophie und Politik, hielt sich auf der Höhe der Zeit, hütete sich jedoch vor gefährlichen Verbindungen wie zu dem »Bund der freien Männer« um Fichte.
Auch der studentische Aufruhr von 1792 wirkte noch nach. Er übertraf die Tübinger Rebellion bei weitem. Wie hatten sie sich dort vor den Professoren hüten müssen, wie hatten sich die Professoren den Verordnungen des Herzogs gefügt. Wie heimlich, zaudernd machten sich ihre Umtriebe gegen den offenen Aufstand der Jenenser aus. Begonnen hatte es im Frühjahr 1792 mit den Vorlesungen des Staatsrechtlers Gottlieb Hufeland über die neue
Weitere Kostenlose Bücher