Härtling, Peter
französische Verfassung. Die Studenten, nicht nur Juristen, drängten sich. Sie erfuhren von verbrieften Freiheiten, an die sie nicht einmal zu denken wagten. Hufeland, der beherzt und begeistert auslegte, schürte ein Feuer, das er wahrscheinlich in dem Ausmaß gar nicht wollte. Die Studenten dachten weiter. Sie forderten die Selbstverwaltung, die Autonomie der Universität. Immer häufiger rotteten sie sich zusammen, machten in Versammlungen die Öffentlichkeit mit ihren Wünschen vertraut. Es kam zu Tätlichkeiten zwischen Bürgern und Studenten. Die Unruhe erfaßte die ganze Universität, es bildeten sich Parteien. Der Universitätsverwaltung gelang es nicht, Ruhe zu schaffen, so daß Herzog Karl August von Weimar am 17. Juli Truppen in Jena einrücken ließ. Empört stellten sich die Studenten auf dem Marktplatz den Soldaten. Die Soldaten trieben die Versammelten mit Gewalt auseinander. Sie prügelten, sie nahmen fest. AchtTage blieben die Studenten aus Protest den Lehrveranstaltungen fern. Nun hatte die Regierung auch Bürger, die sich bisher zurückgehalten hatten, gegen sich. Der Widerstand war jedoch nicht mehr offen. Die Rebellen sammelten sich in Geheimbünden, Orden und Logen, die ihre Mitglieder in strengen Ritualen verpflichteten. Die Wichtigsten waren die Harmonisten, die Schwarzen Brüder und die Constantinisten. Die jakobinische Gesinnung verquickte sich mit elitärem Aberglauben. Der Bund der freien Männer verfocht ebenfalls das Republikanertum, war in seiner Auswahl nicht minder elitär.
Obwohl Hölderlin sich vorgenommen hatte, neue Freunde zu gewinnen, am Leben der Studenten und der Stadt teilzunehmen, hielt er sich beobachtend am Rand. Er durchschaute die Parteiungen nicht, und die kleinlichen Zwistigkeiten waren ihm zuwider. Wieder fanden Gedanke und Tat nicht zusammen. Selbst bei Fichte war es nicht anders. Noch nie zuvor hatte er Vorlesungen von solcher Intensität und Anschauung gehört.
Zum ersten Mal erlebte er, wie eine Idee sich entwickelte, wie sie zur Sprache wurde. Er schrieb mit, las, dachte in der Sprache des Bewunderten. Nur die Lektüre Kants setzte er korrigierend dagegen. Und dennoch gelang es auch Fichte nicht, Gedanke und Handlung zu vereinigen. Hölderlin fand sich in seiner Zurückhaltung bestätigt.
Von Fichte hatte er gehört, daß der freie Mensch »Glied zweier Ordnungen« sei, »einer rein geistigen, in der ich durch den bloßen reinen Willen herrsche, und einer sinnlichen, in der ich durch meine Tat wirke. Der ganze Endzweck der Vernunft ist reine Tätigkeit derselben, schlechthin durch sich selbst und ohne eines Werkzeugsaußer sich zu bedürfen, – Unabhängigkeit von allem, das nicht Selbstvernunft ist, absolute Unbedingtheit«.
Fichte genügte seinem eigenen gewaltigen Anspruch nicht. Er verwickelte sich in das Intrigenspiel an der Universität, entschied noch vernünftig, als er sich für die Harmonisten und Constantinisten verbürgte und so die Straffreiheit der Geheimbündler durchsetzte. Mit deren Hartnäckigkeit hatte er nicht gerechnet. Sie gingen auf seine Angebote gar nicht ein. Darauf fand er, daß die »Orden ausgerottet« werden müßten. Die Angegriffenen schlugen zurück; sie störten seine Vorlesungen, pöbelten vor seinem Haus. Er klagte, seine Person werde zu lässig, zu schwach geschützt, und zog sich am Ende für einige Monate aus Jena zurück.
»Die Nähe der wahrhaft großen Geister, und auch die wahrhaft großer, selbsttätiger, mutiger Herzen schlägt mich nieder und erhebt mich wechselweise.« Diesem Spiel ist Hölderlin nicht gewachsen. Zum einen die geradezu unwirkliche Gegenwart Schillers, Goethes, Fichtes, Herders (den er einmal besucht und der sich ihm »herzlich« widmet), zum andern die politischen Umtriebe einiger Freunde und Bekannter. Und wie stets entzieht er sich, indem er die Situation idealisiert: »Ich habe jetzt den Kopf und das Herz voll von dem, was ich durch Denken und Dichten, auch von dem, was ich pflichtmäßig, durch Handeln, hinausführen möchte, letzteres natürlich nicht allein.«
Niethammer und Camerer, die Schwaben, waren sein täglicher Umgang. Niethammer führte ein gastfreundliches Haus, für die anwesenden wie die durchreisenden Württemberger ein Mittelpunkt. Johann Caspar Camerer, zwei Jahre jünger als Hölderlin, studierte Medizin. Sein Vaterwar Pfarrer in Sindelfingen. Camerer zog ihn nicht nur als Landsmann an – auf Schwaben stieß er in Jena fortwährend –, dessen Ruhe, Besonnenheit taten
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