Härtling, Peter
in den Verlag zu nehmen, obwohl Hölderlin die Arbeit nicht beendet hat. Cotta sagt zu, »da Sie ›Hölderlin’s Hyperion‹ empfehlen, so wollen wir ihn verlegen.« Er bietet das kärgliche Honorar von hundert Gulden – was Hölderlin irrtümlich nur aufs erste Bändchen bezieht, nicht auf beide – und Hölderlin akzeptiert, weil er nicht feilschen möchte. Er ist noch keiner von denen, die fordern können. Der Verlauf der Verhandlungen deprimiert ihn, dennoch ist er angespornt: Es ist ihm ein Ziel gesetzt, er wird bei Cotta mit seinem ersten Buch erscheinen.
Das Gerücht darüber macht ihn angesehener. Man lädt ihn gerne ein. Er kann sich dennoch, auf die Arbeit verweisend, zurückziehen.
Hätte ich Wilhelmine hier, sagt er zu Camerer. Er weiß nicht, wo sie sich aufhält. Angeblich habe sie Charlotte nichts darüber hinterlassen.
Genüge ich dir nicht? fragt Camerer.
Solche Anzüglichkeiten erträgt er.
Sinclair macht ihn Camerer abspenstig. Er hatte Sinclair bei Niethammer, der ihn vor dem Wirrkopf und Anstifter aus Homburg gewarnt hatte, wiedergesehen. Zuerst war es nur die Freude, einen Bekannten aus Tübingen zu treffen. Aber der Zauber, der für ihn von Sinclair ausging, war übermächtig. Wieder war es ihm, wie bei Stäudlin, als habe er sich gespalten, als verkörpere Sinclair den tätigen, den aufbegehrenden Teil seines Wesens. Sinclair könnte ihn vorantreiben. Im April zieht er mit ihm in ein einsames Gartenhaus auf einer Anhöhe über der Stadt.
Ich schreibe von Sinclair, als wäre er wenigstens gleichaltrig mit Hölderlin. Ich sehe, höre ihn so. Wie er sich, zum Beispiel, mit seinem Vorschlag, gemeinsam zu wohnen, durchsetzt, wie er die Führung übernimmt. Aber ich muß mich korrigieren, gegen den Widerstand der Phantasie: Sinclair ist erst zwanzig Jahre alt, fünf Jahre jünger als Hölderlin. Dennoch dominiert er. Er ist anspruchsvoll, packt zu, und sein manchmal schneidender Hochmut schüchtert Hölderlin eher ein. Auf die Dauer aber findet er mit seinem leisen, geduldigen Widerspruch Gehör. Sinclair begreift, daß er den Freund nicht treiben kann. Ihre Lebensgeschwindigkeit ist unterschiedlich. »Es wird wenige Freunde geben, die sich so untertan sind.« Es ist wahr. Nicht, daß sie immer miteinander glücklich wären, daß der eine den anderen stets verstünde und sie sich nicht auch verletzten – aber sie sind aufeinander gestimmt, zwei Stimmen, die sich ergänzen.
Im Homburger Schloßmuseum hängt ein Porträt Sinclairs. Es wurde gemalt, als er dem Landgrafen diente. Er ist wahrscheinlich um die Dreißig. Kein so offenes Gesicht wie das von Stäudlin. Verhangen und arrogant in einem.Ein eigentümlicher, fast deformierter Schädel. Die Stirn hoch, breit ausladend, und darunter drängen sich in einem engen Dreieck, an dessen Spitze ein kleines wulstiges Kinn sitzt, Augen, Nase und Mund. Die Augen liegen, durch eine kräftige Nasenwurzel getrennt, weit auseinander. Der Mund ist überraschend klein, süffisant zugespitzt.
Ein interessanter Mann, werden die gesagt haben, die ihn zum ersten Mal sahen, aber kühl und verschlossen. Vielleicht mußte er Freund sein, um sich unverhohlen zu erkennen zu geben. Die Homburger Bürger mochten ihn nicht. Sie erlebten ihn meist abweisend, rechthaberisch, anmaßend. Er verstand sein Feuer zu verbergen. Sinclair stammte aus einer alten schottischen Adelsfamilie. Sein Vater war Prinzenerzieher am Homburger Hof gewesen. Und die Beziehungen zum Hof blieben auch stets eng, geradezu verwandtschaftlich. Der Landgraf sah dem jungen Sinclair die revolutionären Absichten nach. Wahrscheinlich hielt er sie für Jugendtorheiten, wußte nicht, wie ernst es Sinclair damit war. Andererseits war Sinclair auch nicht bereit, die ihm gebotene Stellung bei Hofe auszuschlagen. Sein Homburger Mentor, der Hofrat Franz Wilhelm Jung, ein entschiedener Republikaner, der ihn politisch beeinflußte und dem er aus Tübingen wie aus Jena über seine Erlebnisse und Begegnungen berichtete, war als fast Vierzigjähriger, seinem Gewissen folgend, aus den Diensten des Landgrafen ausgeschieden. Das war nicht nach Sinclairs Geschmack. Er nützte dialektisch die gebotene Gelegenheit. An jeder Stelle konnte er die gute Sache vertreten. Er tarnte seine Ideen, er verleugnete sie nicht.
Solche Extravaganz blieb Hölderlin im Grunde unheimlich. In seiner ersten Homburger Zeit pflegte er, begann Sinclair von irgendwelchen Hofintrigen zu erzählen, abzuwinken: Davon verstehe ich nichts,
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