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Härtling, Peter

Härtling, Peter

Titel: Härtling, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hölderlin
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Zeugnis ab, Magnifizenz.
    Sie haben um Gehör gebeten.
    Magnifizenz, ich verbürge mich für die redlichen Ansichten derer, die Sie beschuldigen.
    Die Herren am Tisch stecken ihre Köpfe zusammen.
    Das ist Ihre Auslegung.
    Ja, Magnifizenz. Ich gebe zu bedenken.
    Wir sind anderer Ansicht.
    Gleichwohl bitte ich um Straflosigkeit aller Teilnehmer, vor allem jener, die Sie als Rädelsführer bezeichnen.
    Also zum Beispiel Bauer und Sie, Herr Sinclair.
    Wenn Sie so unterrichtet sind, Magnifizenz.
    Sie verlangen viel, nachdem Sie die Universität angegriffen und beleidigt haben.
    Sie kennen, Magnifizenz, unsere Forderungen.
    Ja, den Umsturz.
    Das ist, ich bitte um Nachsicht, Magnifizenz, ein Gerücht.
    Ein Gerücht, das sich als Pöbel zusammenrottet.
    Es handelt sich um Studenten, Magnifizenz.
    Ein Pöbel, Herr Sinclair, der irregeleitet wurde.
    Werden Sie unserer Bitte entsprechen, Magnifizenz?
    Dafür ist der Senat zuständig.
    Sinclair kann gehen. Die Herren schauen ihm zufrieden nach.
    Die meisten studentischen Anführer fliehen aus Jena, allen ist die Relegation sicher, auch für Sinclair wird sie ausgesprochen, der sich freilich in einem Brief zu rechtfertigen sucht, worauf die Strafe zum Consilium abeundi abgeschwächt wird. Das schert ihn nicht mehr. Er befindet sich schon zu Hause, in Homburg, und der Senat legt ihm seine Abwesenheit als Flucht aus.
    Es bleibt nichts davon, Sinclair.
    Wir haben sie herausgefordert, Hölder!
    Sie werden triumphieren und die, die euch gefolgt sind, werden sich ducken, bedenkenlos die Freiheit aufgeben, um eine Stellung zu erobern.
    Aber es bleibt eine Erinnerung in ihren Köpfen.
    Es kann sein, Sinclair, darauf können wir vielleicht setzen.
    Er besucht wieder öfter Niethammer und Schiller. Bei Niethammer trifft er Fichte und Novalis. Dieses Gespräch bleibt ohne Stimmen, eine Unterhaltung zwischen Geistern, Es kann sein, daß er nur zuhörte, daß ihn das klare Gesicht von Novalis entzückte, er eine Verwandtschaft zu dem Mann empfand. Er schrieb niemandem über diese Begegnung. So wie er auch Sinclair in seinen Briefen verschwieg, den »Gefährlichen« noch ausließ.
    Die Stadt schrumpfte, rückte von ihm weg. Er erfaßte sie nicht mehr. Schon ehe er mit Sinclair umgezogen war, hatte er den Eindruck, er ginge unter Schatten, die Häuser, die Landschaft, die Menschen seien nur Abbildungen von sich selbst, Erfindungen eines anderen.
    Ich geh, sagte er, als Sinclair, erfüllt von den Auseinandersetzungen mit dem Rektorat, in sprühendster Laune, nachts nach Hause kam.
    Du gehst? Willst du ausziehen?
    Ich geh nach Nürtingen, such mir eine Hofmeisterstelle.
    Überleg es dir.
    Ich hab’s die ganzen letzten Wochen mit mir herumgeschleppt.
    Warum hast du mir nichts gesagt?
    Ich muß gehen.
    Weiß es Schiller?
    Ich werde ihm schreiben.
    Also fliehst du?
    Du hast recht. Ich fliehe.
    Aber nicht vor mir.
    Nein.
    Sinclair schreibt ihm eine Adresse auf: Besuch diesen Mann in Heidelberg. Er ist Arzt, Gelehrter und ein Freigeist dazu. Bei dem mußt du nicht hinterm Berg halten.
    Er liest: Johann Gottfried Ebel.
    Ebel hat viele Beziehungen, sagt Sinclair, es ist möglich, daß er dir eine Stelle vermitteln kann.
    Sie wollten die Nacht durch reden, wie so oft, doch Sinclair schlief bald ein, Hölderlin packte leise, bündelte die Kleider, verließ das Haus, ohne den Freund zu wecken. Der würde es begreifen.
    Vor Schillers Wohnung blieb er stehn. Die Fenster waren dunkel, dennoch glaubte er Stimmen zu hören.
    Er lauschte eine Zeitlang, dann ging er weiter.

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    Vierter Teil
Ein Zwischenstück
    Nürtingen (1795)
    Er kann schlecht warten. Er hat keine Geduld. Seine Erinnerung ist hastig, zerfahren. Er ist wie versteinert, wird man von ihm sagen. Er braucht Zeit. Laßt ihn in Frieden. Aber er möchte gar nicht in Frieden gelassen werden. Er möchte spüren, wie die Zeit vor ihm davonläuft, durch ihn hindurchrennt. Ich ertrage den Menschen nicht mehr, sagt er, bei einem Besuch in Markgröningen, zu Magenau. Ich weiß nicht, ob Gott, ob die Götter ihn als Verräter seiner selbst angelegt haben. Es ist so. Sie entwerfen und verwerfen in einem. Ich bin noch nicht so weit, das hinzunehmen. Werde ich es je begreifen, dann werde ich anders schreiben als jetzt, auch anders leben.
    Wie anders schreiben, Fritz?
    Es kann sein, daß das Endgültige, Vollkommene, Geformte nicht mehr wichtig sein wird. Daß ich die auseinanderredenden Stimmen schreibe, wie keiner vorher, obwohl wir sie alle hören.

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