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Härtling, Peter

Härtling, Peter

Titel: Härtling, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hölderlin
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Sinclair.
    Hier, in Jena, mußte sich Sinclair eher den Eigenheiten Hölderlins beugen. Sinclair war es gewöhnt, mittags und abends in Gasthäusern zu essen. Die Mittel, die er von zu Hause bekam, reichten für ein sorgloses Leben, so war es ihm auch selbstverständlich, beim besten Schneider Jenas nähen zu lassen. Hölderlin jedoch hatte den ganzen Winter über täglich nur einmal warm gegessen, sich meistens selber gekocht, was er nun, in der neuen Wohnung, wieder tat. Sinclair wagte es erst nicht, nach den Gründen dieser Sparsamkeit zu fragen, lud Hölderlin manchmal ein. Kurz bevor Hölderlin, auch für Sinclair überraschend, Jena verließ, fragte Sinclair ihn, ob er gehen müsse, weil er kein Geld, keinen Verdienst mehr habe. Sie saßen in dem kleinen Aussichtszimmer des Gartenhauses, das Hölderlin so genannt hatte, weil man von ihm aus auf die Stadt blicken konnte.
    Hölderlin antwortete: Auch deshalb.
    Bekommst du von daheim kein Geld?
    Ein wenig. Ich will keines.
    Wieso, hat deine Mutter kein Vermögen?
    Doch. Nur will ich es nicht beanspruchen. Ich habe mich selbständig gemacht, gegen den Willen meiner Mutter. Nun will ich nicht auf ihre Unterstützung angewiesen sein.
    So spielst du lieber den armen Reichen.
    Kannst du es nicht verstehen, Sinclair?
    Er stimmte zu, obwohl er die Zurückhaltung des Freundes eigentlich nicht einsah. Sie war seinem Wesen fremd. Er nahm, was er bekam, genoß, was er hatte.
    Sie hatten sich rasch aneinander gewöhnt. Sinclair übte, was ihm nicht leicht fiel, besondere Rücksicht, stand, wie Hölderlin, früh auf, machte die Betten, reinigte die Stube, verließ das Haus, um, wie er lachend sagte, dem Studium und dem Leben nachzugehen, während Hölderlin tagsüber daheim blieb, am »Hyperion« schreibend, und sich beide erst am späten Nachmittag, vor Fichtes Vorlesung, in der Stadt trafen. Abends übernahm Sinclair die Führung. Er schleppte den Freund in Nebenzimmer von Gasthäusern, wo er sich mit Gleichgesinnten traf, und nahm es hin, daß Hölderlin stumm und aufmerksam in der Runde saß, allenfalls mit einem Nicken sein Einverständnis gab. Sich einem Bund anzuschließen, worauf Sinclair drängte, weigerte er sich.
    Das ist nichts für mich. Das kenne ich schon.
    In einem nachtlangen Gespräch hatten sie ihre Freundschaft begründet. Vor allem Sinclair erinnerte sich sein Leben lang an die ernste Leidenschaft Hölderlins, an seine Entschiedenheit, das Denken dem Handeln vorzuziehen: Es ist mir schwergeworden, Sinclair, ich hätte ein Täter sein wollen, ich habe es auch versucht, doch immer erschrak ich darüber, daß ich im Handeln die Idee vergaß.
    Hölderlin hatte eine siebentägige Fußreise hinter sich, zu der er sich von einem Tag auf den anderen entschlossen hatte, nach einer der üblichen Visiten bei Schiller, die ihm jedesmal, selbst wenn nur Belangloses zur Sprache kam, Auftrieb gaben. Ohne ein Ziel zu wissen, ohne bei jemandem angesagt zu sein, war er aufgebrochen.
    Warum gerade jetzt, Hölderlin? Behagt dir meine Gegenwart nicht?
    Er wolle, sagte Hölderlin, das Land sehen, mit sich alleinsein. Oh nein, ich bin glücklich, dich zu haben, Sinclair. Du mußt meine Einfälle eben hinnehmen.
    Er wanderte die Saale entlang nach Halle, spazierte durch Dessau, verbrachte einen »herrlichen Tag in den Gärten von Luisium und Wörlitz«, besuchte, ohne angekündigt zu sein, in Leipzig den Philosophen Heydenreich und den Verleger Göschen. Er genoß es, von niemandem erwartet zu werden, notierte abends in den Gasthäusern die Sätze, die ihm am Tag, aus dem Rhythmus der Schritte eingefallen waren, befand sich in einer Art behaglicher Trance: Er sah die Landschaft, die er durchwanderte, und sah sie auch wieder nicht oder sah sie erst, wenn er schon weiter war.
    Sinclair stellte fest, daß er sich auf der Reise tatsächlich erholt habe.
    Siehst du, ich hab’s gebraucht, Lieber.
    Sie lagen auf ihren Betten. Die Nacht war so hell, daß Hölderlin die Lampe gelöscht hatte. Diese Stimmungen schätzte er: Ein wenig erschöpft von der abendlichen Vorlesung, den Debatten im Gasthaus, durch die Müdigkeit eher angeregt, Pfeife rauchend, wartend, bis auch Sinclair zur Ruhe gekommen ist, und dann, mit einem Satz, die Unterhaltung beginnend, die, wenn sie Glück hatten, wie von alleine bis in den Morgen dauern würde.
    Warum bist du gestern nicht mit zu Muhrbeck gekommen, Fritz?
    Das ist einer von Sinclairs Freunden, denen er hier in Jena ausweicht, die in Homburg für ihn

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