Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Härtling, Peter

Härtling, Peter

Titel: Härtling, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hölderlin
Vom Netzwerk:
wichtig werden: Muhrbeck, Siegfried Schmid und Böhlendorff.
    Ich will arbeiten, Sinclair, will mich nicht ablenken lassen.
    Aber was du schreibst, dein Hyperion, hat doch mit uns zu tun.
    Mit euch? Das wäre zu wenig. Mit euch auch. Mit mir.Mit dem, wozu ich nicht tauge, was ich mir erträume, mit Griechenland. Mit meiner Erinnerung. Mit dem, was ich erlebe.
    Immer ziehst du dich zurück. Machst du mir etwas Tabak, Hölder? Mir ist er ausgegangen.
    Hölderlin wirft ihm den Lederbeutel zu, Sinclair füllt eine Handvoll Tabak um, wirft den Beutel, zugeschnürt, zurück.
    Ich weiß, dich erschrecken unsere Mißerfolge. Und du hast recht. Ich habe viele Freunde verloren, Hölder, nur weil die den Druck, die Verfolgung, die Androhungen der Universität und des Großherzogs nicht aushielten. Sie zogen es vor, brave Studenten zu sein. Wer will schon gern von der Universität gewiesen werden.
    Ich bin nicht feige, Sinclair.
    Nein, das bist du nicht. Manchmal meine ich, du bist mutiger als wir alle, doch dein Mut ist ein anderer als der unsere.
    Du übertreibst.
    Es ist ein Glück, daß wir uns getroffen haben, Hölder. Du lehrst mich anders denken.
    Ja?
    Du bist der einzige, der mir deutlich macht, daß die Tat allein nicht genügt. Ich habe es auch Jung geschrieben.
    Aber die Tat ist wichtig.
    Das sagst du?
    Ohne sie kann der Gedanke für die Allgemeinheit nicht sichtbar werden, Sinclair.
    Das sagst du?
    Der Täter in mir, Sinclair, ist zu schwach ausgebildet.
    Manchmal redest du, als wärest du zwei.
    Vielleicht könnte ich mich in noch mehr teilen.
    Sinclair setzt sich auf, sieht den Freund ruhig liegen, die Hände unterm Kopf, beginnt zu lachen.
    Du lachst über etwas, sagt Hölderlin ernst, das mir körperlichen Schmerz macht. Ich fühle diese Trennung im Kopf und in der Brust. Ich versuche mit Mühe, mich zusammenzuhalten.
    Verzeih, daß ich lache, Hölder.
    Mich bedrücken die Ereignisse in Frankreich, Sinclair, dieses schauderhafte mörderische Hin und Her – aber kann es denn anders sein? Wird es je anders sein? Es ist gut, daß ihr die Freiheit nennt, für sie nach Begriffen sucht. Weshalb ist Fichte euer Gegner geworden? Weil die Freiheit ein seltsamer Stoff ist, Sinclair. Er scheint überall zu sein, wie Atemluft, und atmet man ihn ein, verändert er sich und das Individuum. Er wird zu einem Stoff, der allein diesem einen Individuum angemessen scheint. Und der einzelne sagt: Meine Freiheit. Er mißt sie an der Freiheit des anderen, der anderen, entdeckt Unterschiede. Vielleicht aber muß man den Stoff in seiner Zusammensetzung wandeln, ehe er eingeatmet wird. Das ist noch keinem gelungen.
    Du nimmst einem den Mut, Hölder.
    Das will ich nicht. Du wirst immer handeln wollen, und ich bin froh, dich als Freund zu haben, denn du machst mir klar, daß wir Denker nachhinken, daß wir nur beschreiben, was ihr anrichtet und einrichtet, was ihr als Möglichkeit anbietet und dieses Mögliche kann zu der Idee werden, der wir beide huldigen, Täter und Denker.
    Also verurteilst du mich nicht?
    Du könntest mich verurteilen, Sinclair, ich halte dich auf.
    Ach, Hölder, ich hab dich ja finden müssen, damit ich nicht im Handeln verkümmre.
    Die Universität versuchte mit aller Gewalt die Orden aufzulösen. Unabhängige Studenten schlugen sich auf die Seite der Geheimbündler, es kam immer häufiger zu kleinen und großen Demonstrationen. Sinclair rechnete man zu den Rädelsführern. Der Senat der Universität entschloß sich zu einer Untersuchung. Sinclair, wieder ganz in der Rolle des Aufrührers, doch auch bereit, für die anderen einzustehen, bat, vor den Prorektor gelassen zu werden, was ihm für den 30. Mai 1795 gestattet wurde. Es war ein kurzes Gespräch voller verdeckter Schärfen. Der Prorektor empfing ihn, umgeben von einigen Senatsmitgliedern. Er bat ihn, auf der anderen Seite des Tisches Platz zu nehmen, doch Sinclair beharrte darauf stehenzubleiben: Ich sehe mich als Delinquent.
    Die Herren setzen sich.
    Dem Prorektor fällt es schwer, das Gespräch – oder das Verhör, wie Sinclair es bezeichnet – zu eröffnen. Er mustert Sinclair erst eine Weile schweigend, schaut dann fragend auf die Herren des Senats.
    Man hat Sie, Herr Sinclair, bei den Tumulten am 19. und am 27. Mai beobachtet. Sie sollen die Menge durch Reden aufgewiegelt haben.
    Das entspricht nicht der Wahrheit, Magnifizenz. Die Menge war aufgebracht. Ich bemühte mich, sie durch Zurufe zu beruhigen.
    Wir haben andere Aussagen.
    Ich lege für mich

Weitere Kostenlose Bücher