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Härtling, Peter

Härtling, Peter

Titel: Härtling, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hölderlin
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Daß der Entwurf wichtiger sein wird als das Resultat, Magenau.
    Ich habe ihn noch weiter fragen, ihn aus der schrecklichen Starre lösen wollen, erzählt Magenau, es gelang mir nicht.
    Das war später. Während der Wartezeit.
    Er hatte sich aus Jena fortgestohlen. Wie blind war er unterwegs gewesen, erst zu Fuß, danach, einige Wegabschnitte, mit der Post. Die Landschaft nahm er nicht wahr, mit Mitreisenden unterhielt er sich nicht, abends, in den Gasthöfen, saß er stumpf an seinem Tisch, so daß man ihn für krank hielt, und ging stets sehr früh auf sein Zimmer, wo er wiederum stundenlang auf dem Bettrand hockte, die Hände steif auf den Knien. Er sah nichts, hörte nichts. Sein fühlloser Körper transportierte eine verstörte Seele. »Ein vertriebener Wanderer, / Der vor Menschen und Büchern floh.«
    Noch in Heidelberg fragte er sich, ob er Ebel überhaupt sehen sollte. Jeden würde er in diesem Zustand vor den Kopf stoßen. Aber der Anblick der Stadt, der Brücke über den Neckar – diese Kulisse –, machte ihn leichter und ein wenig heiterer. Sinclair hatte von Ebel geschwärmt.
    Er läßt sich Zeit. Es könnte ihm guttun, nun nach Tagen das Schweigen zu brechen.
    Er schlendert zwischen den Leuten, hält auf der Brücke an, wiederholt sich die vertrauten Bilder: »Lang lieb ich dich schon, möchte dich, mir zur Lust / Mutter nennen …«
    Gegen Mittag geht er zum »Ritter«, wo Ebel logiert. Er fragt nach ihm. Der Doktor Ebel sei nicht zu Hause, werde aber zum Mittagessen zurückerwartet.
    Sagen Sie ihm bitte, daß ich in der Gaststube auf ihn warte. Wen sollen wir ihm melden?
    Magister Hölderlin aus Jena.
    Er muß sich nicht lange gedulden. Ebel tritt auf, es ist ein Auftritt, denn der Mann weiß, daß er wirkt, auffällt, obwohl er klein gewachsen ist. Es ist der Kopf: der ist mächtig, überwältigend in seinen Dimensionen. Die lange, sehr schmale Nase springt mit einem Höcker aus der hohen fliehenden Stirn. Die Augen scheinen in ihrer Größe wie aufgerissen. Der Mund ist breit, fleischig, spaltet die Wangen.
    Er denkt erst: Das Gesicht eines Zwergs. Als Ebel lächelt, er sich erhoben hat und sie sich gegenüber stehen: Das Gesicht eines Heroen.
    Ebel erkundigt sich nach der Reise, und Hölderlin verschweigt ihm die Unpäßlichkeiten.
    Wie geht es unserem Freund Sinclair?
    Die Auseinandersetzungen mit der Universitätsverwaltung nehmen ihn schon mit.
    Er sollte nicht nachgeben.
    Aber billigen Sie denn auch die Geheimbündelei?
    Wenn es für die Republikaner keine anderen Möglichkeiten gibt? Sind Sie denn keiner?
    Aber ja.
    Nur sind Sie vorsichtiger und scheuen die Gewalt, nicht wahr?
    Ein anderer hätte ihn beleidigen können, nicht Ebel.
    Ebel sprach seine Situation an: Sie suchen eine neue Stelle?
    Ich bin in einer prekären Lage. Kann ich nicht bald wenigstens die Aussicht auf eine Hofmeisterstelle vorweisen, muß ich den Forderungen des Consistoriums nachgeben und eine Pfarrei annehmen. So ist es eben bei uns.
    Gehen wir spazieren? fragt Ebel.
    Sie gehen am Neckar lang, Ebel hakt sich bei ihm unter, Hölderlin erzählt von der Gemeinsamkeit mit Sinclair, Ebel von seiner Idee, nach Paris umzusiedeln, um dort an Ort und Stelle die Entwicklung des republikanischen Denkens zu verfolgen, und am Schluß sagt Ebel, der sich entschuldigt, sich ihm nicht noch länger widmen zu können, da er für den Abend eingeladen sei:
    Vielleicht, lieber Hölderlin, vielleicht weiß ich etwas für Sie, in Frankfurt, bei Freunden, den Gontards. Ich werde es Sie wissen lassen, bald, damit Sie sich nicht vor Ihrem Consistorium fürchten müssen.
    Im »Ritter« holt er sein Gepäck. Sie umarmen sich. Ebel empfiehlt ihm eine schnelle Post bis Mannheim.
    Dort finde ich mich dann zurecht, sagt Hölderlin, dort bin ich zu Pferd gewesen, in Mannheim, in Speyer, am Rhein.
    Wir müssen uns wiedersehen, sagt Ebel.
    »Ich fühle, … wie viel Sie mir vom ersten Augenblicke waren«, schreibt ihm Hölderlin.
    Er hat Auftrieb. Es muß ihm ein zweites, ein drittes Leben gelingen. Allmählich ist er in Anfängen geübt.
    Aber Nürtingen wärmt ihn nicht auf, wie er es erwartet hatte. Rike fehlt. Die Mutter ist unstet, jammert, sie hat das Haus, den Schweizer Hof verkaufen müssen, zu einem Preis, der sie grämt. Schon beim Grasgarten habe sie verloren, jetzt wieder. Nur die Großmutter Heyn ist sich gleich geblieben, sorgt sich um seine Gesundheit, behandelt ihn wie ein Kind, streicht ihm das Frühstücksbrot dick mit

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