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Härtling, Peter

Härtling, Peter

Titel: Härtling, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hölderlin
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verhöhnt die Gutgläubigkeit des Freundes, er solle vom Menschen nichts erwarten als Eigensucht und Niedertracht. Dann spricht er überhaupt nicht mehr, sitzt erstarrt am Tisch, ißt nicht, verläßt am nächsten Tag wortlos das Haus, und Magenau schildert Hölderlin als einen, »der nicht mehr sprechen« konnte, »er war abgestorben allem Mitgefühl mit Seines Gleichen, ein lebender Todter«.
    So schleppt er sich nach Maulbronn zu den Breunlins, zu Heinrike.
    Was ist mit dir, Fritz?
    Ich bin ein Stein, Rike, in mir regt sich nichts mehr.
    Komm, ruh dich bei uns aus.
    Breunlin zweifelt an der Gesundung seines Schwagers. Der Fritz sei schon immer überspannt, närrisch gewesen. Jetzt breche das auf.
    Rike macht ihm ein Zimmer frei. Wenn er Tabak benötige oder Wein, müsse er es sie nur wissen lassen.
    Er sitzt am Fenster, starrt hinaus, einige Tage, danach verläßt er, ohne Begründung, ohne sich zu verabschieden, den Schwager und die Schwester, wandert heim nach Nürtingen.
    Sein Zustand erschreckt Johanna.
    Er läßt sich von ihr nichts sagen. I will koin Doktor.
    Den Doktor Planck kennsch doch.
    Noi, ihr sollet mi in Ruh lasse.
    Mitte November mahnt er Ebel. Ihn treibe die Not. Er müsse erwarten, besonders da die Weihnachtstage heranrückten, vom Consistorium zu einem Pfarrer geschickt zu werden. Außerdem sei ihm, gibt er vor, eine Erzieherstelle in Stuttgart angetragen.
    Er reist nach Stuttgart, um sich für die zukünftige Arbeit auszustatten, wohnt bei Neuffer.
    Du weißt doch noch gar nichts, sagt Johanna, warte doch ab, Fritz.
    Es ist egal. Wenn ich Pfarrer werde, brauche ich das Gelumpe eben nicht.
    Am 5. Dezember kommt Ebels Bescheid. Er sei angestellt.
    »Ich hoffe, mit nächster Woche abreisen zu können«, antwortet er. »Ich bin zwar schon einige Zeit nicht wohl, aber, allem nach, wird es wenigstens keine Woche mehr dauern.«
    Am 15. Dezember nimmt er Abschied. Die Weihnachtstage verbringt er bei dem Pfarrer Majer und den Verwandten der Mutter in Löchgau. Es ist schon Nacht, als er am 29. Dezember in Frankfurt ankommt. Von der Stadt sieht er wenig. Er hört sie mehr. Das Geräusch vieler Wagen, die noch unterwegs sind. Er steigt im Gasthof »Zur Stadt Mainz« ab, den ihm Ebel empfohlen hatte, er liege nicht weit vom Weißen Hirsch, dem Wohnsitz der Gontards.
    Ebel erwartet ihn. Die Starre ist, trotz der Reisestrapazen, von ihm gewichen. Von Ebel erfährt er, daß er am Silvestertag sich bei den Gontards vorstellen solle. Aber den Tag zuvor besucht ihn, unangesagt, der neunjährige Henry Gontard. Von einem Diener begleitet, tritt der Junge unbefangen auf, neugierig und fröhlich, fragt ihn aus: Woher kommen Sie? Sind Sie schon einmal Lehrer gewesen? Kennen Sie Frankfurt? Haben Sie auf der Reise Franzosen gesehen?
    Sie lachen miteinander.
    Der Diener mahnt zum Aufbruch. Hölderlin begleitet das Kind bis vor die Gasthaustür, blickt ihm nach. Ihm ist jetzt wohler. Das ist ein verheißungsvoller Anfang. So könnte eine gute Geschichte beginnen, eine, in der er »mein Holder« gerufen wird.

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    Fünfter Teil
Diotima
    Frankfurt (1796–1798)

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    I
    Die Stadt
    In die Stadt, die er sah, in der er wohnte, über die er kein Wort schrieb, kann ich nicht zurück. Ich vergleiche alte Bilder mit meiner Erfahrung. Sein Frankfurt muß ich erfinden. Es bleibt ohnehin im Hintergrund, als Schatten, so wie er es wahrnahm.
    Es ist kalt. Der Ofen auf dem Gang heizt die Zimmer im ersten Stock des Gasthofs nur unzureichend. Die Gäste lassen die Türen offen; er hört Gelächter, Tuscheln, Schneuzen, Schnarchen. Lange steht er am Fenster. Über Nacht hat es wieder geschneit. Ehe er sich, gegen vier Uhr nachmittags, bei den Gontards vorstellt, schlendert er durch die Stadt. Sie ist mit Tübingen, Jena, auch mit Stuttgart nicht zu vergleichen. Die Häuser sind üppiger, es gibt, um die Zeil, viele Werkstätten und Fabrikationen; Wagen und Droschken sind unterwegs mit feinen Leuten, Arme betteln. Das Gedränge macht ihn unsicher. Einem abgerissenen, bettelnden Mann, der behauptet, ein Invalide des großen Preußenkönigs zu sein, bei Torgau sein Bein verloren zu haben, weicht er aus, sucht ihn dann beschämt, findet ihn nicht mehr. Österreichische Soldaten sind überall. Die Garnison war kurz zuvor verstärkt worden. Man erwartete einen Vormarsch der französischen Armee unter General Jourdan.
    Ebel, der verhindert war, ihn zu begleiten, hatte ihn über den Gontardschen Haushalt aufgeklärt. Der »Weiße

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