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Härtling, Peter

Härtling, Peter

Titel: Härtling, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hölderlin
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dem Garn!
    Gontard nimmt ihn zur Seite. Er habe als einziger Mann auf das Wohl der Reisegesellschaft zu achten, seinen Anweisungen sei Folge zu leisten, ihm obliege es, nach Abschätzung der Lage den Reiseweg festzulegen. Seien Sie mir ein guter Freund! Gontard, dessen Kühle und Besonnenheit ihn geradezu aufgebracht hatten, war nun ebenfalls erregt. Er umarmte seine Frau, schluchzte auf. Es ist zu eurem Besten, sagte er mehrmals.
    Sie fahren mit kurzen nächtlichen Aufenthalten, in denen die Pferde gewechselt werden und die Reisegesellschaft ausruht, durch bis Kassel, das sie nach drei Tagen erreichen. Bei Hanau waren sie in die Nähe der Kämpfe geraten, von fliehenden österreichischen Truppen aufgehalten worden, und Susette hatte erwogen, umzukehren, es sei doch vernünftiger, die Franzosen zu Hause zu erwarten und nicht so ohne jeglichen Schutz und Rückhalt, doch Hölderlin bestand, an die Mahnungen Gontards denkend, auf Weiterreise. Die Spannungen, die Ängste trieben sie zusammen. Sie achteten nicht mehr auf Konventionen; was daheim für unmöglich gegolten hätte, wurde üblich; und die Kinder, vor allem die beiden älteren, Henry und Jette,genossen es, nützten es aus. In einem Gasthof in Fulda ließ sich Henry nicht bewegen, mit seinen Geschwistern schlafen zu gehen; er sei überhaupt nicht müde, schlafe besser in der Kutsche, möchte viel lieber noch ein wenig reden und zuhören. In der Gaststube befanden sich noch andere Flüchtlinge, man tauschte Erfahrungen und Nachrichten aus, spottete über die eigenen Ängste, tröstete sich mit Galgenhumor. Die Franzosen konzentrierten sich ohnedies auf Frankfurt. Hier im Osten sei man sicherer. Nein, gefallen sei die Stadt noch nicht. Aber in Hanau, denk, Hölder, sind jetzt die Republikaner!
    Was hast du da gesagt, Henry? fragt Susette.
    Daß die Franzosen in Hanau sind, ein Herr hat vorher davon gesprochen.
    Nein. Nicht das. Wie hast du Herrn Hölderlin gerufen?
    Hölder.
    Hölderlin, der neben Henry auf einer Bank sitzt, zieht den Jungen an sich: Woher weißt du, daß man mich so nennt?
    Der Herr Schelling hat Sie so gerufen.
    Das geht nicht an, daß du mit Herrn Hölderlin so sprichst.
    Aber ja, Madame, und wenn du magst, kannst du auch du zu mir sagen, Henry.
    Du – Hölder.
    Siehst du.
    Sie wiederholen die Anrede, lachen einige Male, Henry spielt seine Eroberung aus, Susette, verlegen, sagt nach einer Weile: Hölder – das hört sich hübsch an. Und Marie, die am ehesten mit der Rolle des Flüchtlings zurechtkommt, besonnen bleibt, freilich dazu neigt, Gefahren sich einfach auszureden, Marie sagt im leichtesten Ton:Gestatten Sie es auch mir, Sie Hölder zu nennen, wenn ich Ihnen erlaube, zu mir Marie zu sagen?
    Er freut sich über das »liebenswürdige Angebot«. Susette schimpft Henry im Spaß aus: Das hast du nun angerichtet, betont aber eher am nächsten Tage die Anrede »Herr Hölderlin«, bis sie, noch vor Kassel, wie zufällig Hölder sagt und dabei bleibt. Manchmal, während der Fahrt, hat sie für Augenblicke ihre Hand auf die seine gelegt, er hat nicht versucht, sie zu halten, weil er nicht sicher war, ob die Furcht sie zu dieser flüchtigen Geste veranlaßte oder sie ihm, heimlich, ihre Zuneigung zeigen wollte. Diese Ungewißheit war ihm angenehm.
    Kassel schien weit fort vom Krieg und ihn auch nicht zu erwarten. Allerdings hatten sich viele Flüchtlinge nach hier zurückgezogen und erschreckten die Gastgeber mit wilden Geschichten von räuberischen, mordwütigen Sansculotten. Die Stimmung war gereizt und ausgelassen in einem. Es wurde nur noch von einem Tag auf den anderen geplant, und die Ordnung, die man überstürzt verlassen hatte, galt nicht mehr.
    Gontard hatte ihnen einen Gasthof empfohlen, den sie erst nicht fanden und dessen Wirt es dann ablehnte, sie aufzunehmen. Das Haus sei bis unters Dach voll, gleiche einem Notlager. In einem bescheideneren Gasthof am Rande der Stadt bekamen sie ohne weiteres vier Zimmer. Hier war der Wirt offenbar geschmeichelt, so vornehme Gäste beherbergen zu können. Hölderlin durfte als einziger Mann eine Kammer, wenn auch die kleinste, für sich beziehen, mußte Susette aber versprechen, sie ihr tagsüber gelegentlich zu überlassen. Susette war nicht willens, die nächsten Tage weiter nach Hamburg zu reisen. Sie kenne Kassel, hier gäbe es viel zu sehen, sie wisse einigeBekannte und Freunde, Marie Rätzer ebenso, und außerdem wolle sie die Kinder nicht noch mehr strapazieren. Sie erkundigten sich, wie es

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