Härtling, Peter
Umzug vor. Marie Rätzer wanderte, Listen in der Hand, von Zimmer zu Zimmer, ließ die Dinge, die mitgenommen werden sollten, in großen Körben stapeln. Mitden Kindern, vor allem den Mädchen, kämpfte sie geduldig um jedes einzelne Spielzeug. Dort hätten sie viel mehr Gelegenheit, im Garten, auf den Wiesen und im Wald zu spielen. Da sei ein Püppchen zuviel nur hinderlich.
Aber die Bücher sollen alle mit, grollte Henry. Ja, sicher, der Unterricht werde fortgesetzt. Sonst muß Herr Hölderlin in der Stadt bleiben! Oh nein, das wäre schade. Bisweilen unterbrach Marie ihre ordnende Wanderung und besuchte Hölderlin auf seinem Zimmer. Sie gefiel ihm so außer Atem, er sagte es ihr.
Verteilen Sie Ihre Komplimente nur nicht allzu ausgeklügelt, Herr Magister.
Sie machte ihn mit diesem Scherz nachdenklich.
Oh nein, ich wollte …
Habe ich Sie durcheinandergebracht?
Ich wollte …
Sehen Sie, da gehen sogar einem Poeten die Wörter aus.
Er war ihrer Unbefangenheit dankbar.
Diese Sommerferien sind ja eine löbliche Einrichtung, erklärte sie, den Kindern und Frau Gontard bekommen sie auch stets, Monsieur Gontard genießt sie auf seine Art, aber für unsereinen sind sie eher eine endlose Folge von Aufregungen. Sorgen Sie nur gleich zu Beginn dafür, daß Sie Ihre eigene Zeit haben, daß man sie respektiert, sonst taumeln Sie von einer kleinen Exkursion zur andern und finden gar nicht zu sich selbst.
Er verbeugte sich übertrieben. Haben Sie Dank, Demoiselle Rätzer, für Ihren Rat. Ich werde mir ein gemütliches Versteck aussuchen, und man wird mich den Unauffindbaren schelten.
Sie machen sich lustig. Aber haben Sie nicht vor, Ihr Buch für Cotta zu beenden? Den »Hyperion«?
Das weiß anscheinend alle Welt.
Bin ich alle Welt?
Das sind Sie nicht, Demoiselle.
Sie werden uns daraus vorlesen, hoffe ich.
Ich bin nicht sicher.
Sie werden es gewiß, Madame Gontard wünscht es sich. Sie sagte: Auf der Pfingstweid, wenn wir ungestört sind, soll uns der Magister Hölderlin aus seinem Buch vortragen.
Das hat sie gesagt?
Ja. Und Sie werden uns vorlesen, wie ich vermute?
Nun gehen Sie lieber.
Fünfmal mußten Wagen hin- und herfahren, bis alle und der Hausrat sich in den Ferien befanden.
Das ist mir neu, daß man sich einfach in eine Chaise setzen und in den Sommer reisen kann.
Henry wiederholt den Satz, findet ihn sonderbar, möchte ihn sich merken, auch solche Sätze erfinden. Daran kann man erkennen, daß Herr Hölderlin ein Dichter ist, sagte er zu Susette.
Das reicht wohl nicht aus, Henry.
Oh doch, widerspricht ihr Hölderlin, beinahe heftig, nur müssen sich Henrys Verstand und Phantasie darin üben, und ein solcher Satz darf ihm nicht bloß apart vorkommen, sondern er muß den Sommer als Gegend sehen, als Landschaft, er muß das Leben eines solchen Begriffes empfinden und alle vergangenen Sommer mitdenken.
Henry schüttelt sich, schlägt gespielt die rechte Hand vor den Mund, eine Geste, die ihm eigen ist: Puh, das ist viel!
Es ist nicht viel; es ist, merkwürdigerweise, ein einziger Gedanke.
Dann will ich lieber Kaufmann werden, wie der Vater.
Du hast Zeit, sagt Susette. Und Jette setzt spöttisch hinzu: Wo der Henry so schlecht rechnet.
Sie sind rasch eingerichtet. Hölderlin bekommt ein enges, vom Schatten hoher Bäume feuchtes Stübchen zugewiesen, das nur durch die beiden Kinderzimmer getrennt ist von dem Salon und dem Schlafraum Susettes.
Die erste Woche könne er ganz ungestört seiner Tätigkeit nachgehen; sie habe Henry versprochen, daß er nicht die ganze Zeit strapaziert werde. Und danach könne er unterrichten, wie es ihm beliebe. Die früheren Hauslehrer hätten den Morgen vorgezogen, da seien die Gärten noch nicht voller Leben und Lärm, sogar in der Laube könne man noch ungestört lernen. Dorthin zog er sich dann auch mit Henry zurück, der ihn bereits nach einigen Tagen aufforderte, wieder ein wenig in die Bücher zu sehen. Sie müssen ja nicht streng mit mir sein, und wenn es uns zuviel wird, plaudern wir ein wenig.
Henry faßte leicht auf, reagierte oft witzig auf den übertriebenen Ernst seines Lehrers und ging mit ihm wie mit einem großen Bruder um. Hölderlin genoß die Vertraulichkeit, nützte sie aber nicht aus, ließ den Jungen die gegebene Distanz spüren: Ich bin als dein Lehrer engagiert, Henry, und nicht als dein Freund.
Sie können beides sein.
Ich bin es ja auch. Komm, laß uns den Ablativ noch einmal üben.
Cotta hatte ihm nahegelegt, den »Hyperion« so zu
Weitere Kostenlose Bücher