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Härtling, Peter

Härtling, Peter

Titel: Härtling, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hölderlin
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um Frankfurt stehe. Am anderen Tag erfuhren sie, Frankfurt sei gefallen. General Jourdan habe den Rat aufgefordert, die Stadt zu übergeben, was aber die Österreicher der Bürgerschaft nicht zugestanden hätten. In der Nacht zum 14. Juli hätten die Franzosen dann mit einem gewaltigen Bombardement begonnen und gut 180 Häuser seien abgebrannt. Die Österreicher hätten aufgeben müssen.
    Susette machte sich Sorgen um ihren Mann. Sein Schicksal blieb für die Flüchtlinge ungewiß, bis nach einer halben Woche über einen Kasseler Geschäftsfreund die Botschaft kam, Gontard wie auch das Haus hätten die Schlacht unbeschadet überstanden.
    Susette wünschte, die gute Nachricht mit einem Ausflug zu feiern. Das Warten hatte sie kraftlos werden lassen. Sie hatte die Kinder schützend um sich geschart und geschwiegen, war nur selten zu den Mahlzeiten erschienen und hatte sich, meist den Tränen nahe, gleich wieder zurückgezogen. Nun war alles gut, auch die Kinder atmeten auf, besonders Jette, die unter den Melancholien der Mutter am meisten litt.
    Susette hielt eine Landpartie dann doch für zu gewagt, man entschloß sich, in den Anlagen auf der Wilhelmshöhe spazierenzugehen. Der sich über Hügel hinziehende Park, mit gewundenen Pfaden und vielen sehr alten Bäumen war die richtige Kulisse für die »seelische Wiederherstellung«, wie es Marie ausdrückte, sie schwärmten von der »großen und reizenden Natur«, redeten Belangloses, ließen sich von den Kindern necken, spielten Ball, boten den Passanten den Anblick einer glücklichen Familie. Jeder ihrerBlicke, ihrer Zurufe – Hölder, Sie müssen fangen! – wurde für ihn wichtig. Er war verwundbar geworden, offener, er wußte, daß er dieser Liebe nicht mehr würde entkommen können, daß er jedem ihrer Winke folgen müßte. Er wollte es auch nicht anders. Marie, die, verspielt, seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen versuchte, resignierte, schloß sich einem Kreis von Künstlern an, die sie mit ihrer schönen Unbefangenheit entzückte. Susette wiederum fand diesen Umgang zu gewagt, widmete sich der »heiteren Bande« erst, als Heinse sich aus einer generösen Laune zu deren Schirmherrn erklärte.
    Wilhelm Heinse, der berühmte Verfasser des »Ardinghello«, Idol der fortschrittlich denkenden Jungen und der alten Libertins (Goethe freilich lehnte die Freizügigkeit des Buches ab), war Susette als Beschützer von Gontard angekündigt. Heinse werde sich ihrer annehmen und sie in die Kasseler Gesellschaft einführen. Heinse war damals fünfzig, sein »Ardinghello« vor zehn Jahren erschienen. Hölderlin hatte das berüchtigte Buch, das zur verbotenen Literatur gehörte, auf dem Stift gelesen, einige Sätze daraus einem seiner Gedichte als Motto vorangestellt. Er war außerordentlich gespannt, dem Dichter, dessen Mut und Freiheitssinn ihn so beeindruckt hatten, leibhaftig zu begegnen.
    Heinse tritt auf wie ein Halbgott. Die beiden Frauen, Susette und Marie, übernehmen gerne die Rollen der Grazien. Sie hätscheln, vergöttern ihn. Der Weltmann, der Hölderlin als einen Domestiken am Rande geradezu übersieht, kann nicht ahnen, daß seine eingebildete Zauberkraft wahr wird, Grenzen schwinden läßt und Hölderlin und Susette endgültig zusammenführt; daß mit seiner poetischen Hilfe Susette sich entschließt, Diotima zu werden.
    Sie sind schon zehn Tage in Kassel, ehe Heinse eintrifft. Hölderlin hatte Susette noch nie so frei, angeregt, fast frivol erlebt. Sie hielt ihn von dem Unterricht der Kinder ab, ließ sich von ihm durch den Park begleiten, hatte nichts dagegen einzuwenden, wenn Marie ihre eigenen Wege ging, sie besuchten, obwohl Heinse es angekündigt hatte, sie zu führen, die Gemäldegalerie auf der Wilhelmshöhe, freundlich empfangen und geleitet von J. J. Tischbein, dem Inspektor der Galerie und Bruder von Goethes Malerfreund. Alle diese Bilder von Rembrandt, Rubens, Lorrain, auch von Schaffner und anderen früheren deutschen Malern waren ihm unbekannt gewesen, die Erfahrung, soviele Bilder auf einmal zu sehen, neu.
    Hier, für diese Zeit, wurde er von ihr und von den neuen Bekannten, Heinse ausgenommen, wie ihresgleichen behandelt. Er mußte nicht zurücktreten in die Rolle des Dienenden. Und sie war nicht beengt durch Komment und Pflichten. Sie traute sich, offener zu reden und ihm auch, in vielen kleinen Andeutungen, zu zeigen, wie sehr sie ihm geneigt war. Sie nannte ihn ohne Scheu Hölder; den Kindern gefiel es.
    Weil das eigentlich dein richtiger

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