Härtling, Peter
eine magere Verwandte der Poesie.
Das habe ich mir gedacht. Der Schelling und ich haben dir schon gefehlt. Ins Konkrete möchte der Schlauberger. Aber das kannst du ohne das Abstrakte gar nicht fassen. Es kommt mir auf den Begriff der Sache an. Man muß gleichermaßen analysieren wie abstrahieren. Du mußt dich von dem, was du kennst, was du gewöhnt bist, entfernen und entfremden. Die beiden letzten Wörter sagte er mit übertriebener Betonung.
Für Hölderlin war das neu. Sein Freund hatte in der Schweizer Einsiedelei weitergedacht, er war ihm davongerannt. Nun mußte er aufholen, und er tat es willig. Jedes Treffen inspirierte ihn. Wenn sie müde vom Denken, vom Streiten waren, kramten sie in Tübinger Erinnerungen, die sich allmählich zu Andeutungen verkürzten: Woisch no, wie d’r Bök den Breyer …?
Es verblüffte ihn, wie mühelos Hegel sich in der Frankfurter Gesellschaft etablierte. Er hatte, was ihm selbst nie gelungen war, bald einen Anhang von jüngeren Bewunderern. Allerdings konnte er Hegel nicht dazu überreden, mit ihm die Konzerte zu besuchen, die regelmäßig im »Scharfen Saal« stattfanden. Für ihn waren es Erholungen, er hätte sich den Freund gern in seiner Begleitung gewünscht. Bei einem dieser Konzerte traf er zufällig den Kaufmann Schwendler, dem er flüchtig in Waltershausen bei Kalbs begegnet und der, wie es sich herausstellte, nun in Frankfurt tätig war. Es war ihm keineswegs angenehm, denn Schwendler hätte auf Wilhelmine zu sprechen kommen können. Und seit er Susette liebte, erschien ihm die Affäre mit Wilhelmine unerlaubt derb und direkt. Diese selbstverlorene Nähe könnte er jetzt nicht ertragen. Er redete, was sonst seine Art nicht war, pausenlos auf Schwendler ein, ließ sich über die Qualität des Orchesters aus, daßes doch erstaunlich sei, dreißig gute Musiker zu versammeln, und Schwendler konnte gar nicht anders als nicken und zustimmen. Sie trennten sich, sobald es die Höflichkeit zuließ, Hölderlin sah ihn nicht wieder, da Schwendler nicht bei den Gontards verkehrte und anscheinend auch kein ständiger Konzertgänger war. Dennoch hatte Hölderlin auf Schwendler Eindruck gemacht: »Ein hübscher Mann ist es«, schreibt er an die Hofrätin Heim nach Meiningen und fügt nachdenklich hinzu: »Ich wünschte selbst zu wissen, wie er jetzt wegen der Kirmes gestimmt ist, möchte aber nicht gerne gerade zu ihm sagen, daß ich davon weiß.« Was hat er gewußt? Daß sich Hölderlin mit Wilhelmine eingelassen hatte? Das war wohl allen, die bei den Kalbs verkehrten, bekannt. Doch auch, daß sie niederkam und daß das Kind nur wenige Monate, bevor Schwendler mit Hölderlin gesprochen hatte, gestorben war? Auf jeden Fall waren ihm auch in Frankfurt bereits Gerüchte zu Ohren gekommen; er teilt nämlich in einem weiteren Brief mit, er habe Hölderlin nicht wiedergesehen, da er mit niemandem Umgang pflege, »sondern lebt bloß sich, seinen Studien, – und einige setzen hinzu – der Mutter seiner Zöglinge, die ein angenehmes Weib sein soll.«
Das Netz der Gerüchte zieht sich um ihn zusammen. Er weiß es nicht. Hegel warnt ihn. Selbst die Dienerschaft im Gogelschen Hause flüstere über Hölderlins Liebe zu Madame Gontard.
Ich liebe sie ja auch.
Du bist naiv, Hölder. Meinst du, der gute Herr Gontard guckt dem lang zu?
Das ist mir gleich.
Doch die Stadt wisse es. Gut, Gontard werde es wohl verschwiegen, aber böse Mäuler gäbe es genug.
Sie ist ein Engel.
Das mag ja sein. Aber daß auch du die Hofmeisterkrankheit kriegst, kann ich nicht verstehen.
Was ist das?
Das kennst du nicht? O Hölder, leben lernst du nie. Das ist, knapp gesagt, daß die Hofmeister, weil die Hausherrinnen am besten zu erreichen sind, denen auch gleich verfallen.
So ist es bei mir nicht.
Das hab ich mir gedacht.
Das habe ich geschrieben, Hegel.
Er hatte lange vergebens auf die Belegexemplare des »Hyperion« gewartet, von Cotta keinerlei Bescheid erhalten. Dann brachte ihm, an einem Nachmittag im April 1797 die Haushälterin das Paket, das über Nürtingen gegangen war. Er wird die elf Bändchen vor sich aufgestapelt haben.
Ich weiß nicht, ob er nur glücklich war.
Er wollte das Buch Susette aufs Zimmer legen, sie überraschen, unterließ es, da es jemand hätte finden können, so brachte er ihr es am Abend, als Gontard aus dem Hause war.
Sie sagte: Da hast du nun dein Buch. Lies mir daraus vor. Er ging jedoch zur Tür, sie rief ihm nach: Bist du verstimmt? Er bat, ihn für einen
Weitere Kostenlose Bücher