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Härtling, Peter

Härtling, Peter

Titel: Härtling, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hölderlin
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Tätigkeit der Menschen, das gestaltlos, seel- und lieblos uns verfolgt, zerstreut, um so leidenschaftlicher und heftiger und gewaltsamer muß der Widerstand von unserer Seite werden. Oder muß er es nicht? Das ists ja eben, was Du auch an Dir erfährst, mein Lieber! Die Not und Dürftigkeit von außen macht den Überfluß des Herzens Dir zur Dürftigkeit und Not. Du weißt nicht, wo Du hin mit Deiner Liebe sollst, und mußt um Deines Reichtums willen betteln gehen. Wird so nicht unser Reinstes verunreinigt durch Schicksal, und müssen wir nicht in aller Unschuld verderben? O, wer nur dafür eine Hilfe wüßte?«
    Susette will ihm helfen. Sie wird immer unvorsichtiger, um ihm nah sein zu können. Gleichwohl kann sie ihm nicht helfen, da sie zu dem gehört, was ihn krank macht. Lauter Karikaturen, klagt er, mich umgeben lauter Karikaturen. Nicht du, nicht die Kinder, alle anderen! Sie verfolgen mich in meine Träume, blähen sich auf, triumphieren über meine Schwäche. Sie vertröstet ihn aufs Frühjahr, mit dem Umzug ins Sommerhaus.
    Manche Neuigkeiten lenken ihn ab. Aus Blaubeuren kommt die Nachricht, Heinrike habe ihr zweites Kind geboren, einen Buben, der nach ihm genannt werde, Fritz.Er solle Pate sein. Er könnte reisen, Frankfurt wenigstens für ein paar Tage den Rücken kehren. Gontard gestattet es nicht. Er unterrichte Henry ohnehin schon recht nachlässig. Das stimme nicht. Das stimme wohl. Er ziehe, wie man höre, andere Unterhaltungen vor. Jedes einzelne Wort verletzt ihn. Wenn Sie auf meiner Anwesenheit bestehen, Monsieur, sagte er leise, und Gontard antwortet: Ich bestehe darauf, Sie als Hofmeister engagiert zu haben und nicht als Gesellschafter, Herr Hölderlin.
    Halte dich zurück, bittet ihn Hegel, den die Gerüchte über Susette und Hölderlin bekümmern.
    Noch mehr? Hölderlin schrie ihn an. Er war außer sich. Jede Bemerkung über seine Beziehung zu Susette erregte ihn. Noch mehr! Die halten mich zurück. Die haben mich so weit gebracht, daß sich meine Seele von meinem Leib verabschiedet und den Tag über dahinkümmert. Sie haben schon alles erreicht, Hegel. Sie haben einen Apparat als Hofmeister, ein gefügiges Maschinchen. Mich dauert nur mein Henry, der das spürt.
    In der Silvesternacht 1797, schon nach Mitternacht, kommt Susette zu ihm. Er liegt angekleidet auf dem Bett, lauscht auf das heitere Getöse. Im Garten brennen sie ein Feuerwerk ab. Die Kinder dürfen aufbleiben. Gontard hatte ihn eingeladen, doch er hatte, Nervenschmerzen vorschützend, abgelehnt. Susette ist erhitzt, ihr Haar hat sich aufgelöst. Es sei ein gewaltiger Spaß.
    Ihr habt ihn.
    Du hättest teilnehmen können.
    Ich konnte nicht.
    Ich bin doch bei dir.
    Du wirst gleich wieder gehen. Deine Abwesenheit wird deinem Mann auffallen.
    Sie sind alle beschäftigt und angeheitert.
    Sie legt sich neben ihn, nimmt ihn in die Arme. Er versucht sie zu küssen, doch sie wehrt ab.
    Man würde es mir anmerken, Hölder. Nicht jetzt. Ich wollte einfach bei dir sein.
    Er sagte träumerisch, in einem angestrengt heiteren Ton:
    Ich habe kürzlich ein Stück gelesen, Susette, von einem Hofmeister namens Läuffer, der sich, weil es ihm so ging wie mir, kastriert hat, um nicht in die Versuchung zu kommen, seiner Herrin unter die Röcke zu gehen.
    Er machte, da er ihre Entrüstung erwartete, eine Pause. Aber sie lag still. So fuhr er fort.
    Er hatte Glück, der Hofmeister Läuffer. Ihn liebte ein Mädchen, das sich nicht einmal um diesen entscheidenden Mangel scherte. Als er ihr bekannte: Lise, ich kann bei dir nicht schlafen, antwortete sie ihm: So kann er doch wachen bei mir. – Ist es so zwischen uns, Susette, ist so unsere Liebe?
    Sie setzte sich auf, fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und durchs Haar, das so noch mehr durcheinandergeriet, und sagte nichts.
    Mußt du nicht hinunter? Das Feuerwerk ist zu Ende.
    Gleich. Lies mir vor, Hölder.
    Hast du meine Geschichte begriffen?
    Lies mir vor.
    Ich will nicht, Susette, ich kann nicht. Geh hinunter.
    Ich geh nicht, ehe ich nicht, wie sonst, dich gehört habe.
    Ich habe die ganze Zeit geredet.
    Du weißt, was ich meine.
    Ich weiß. Du meinst meine Poesie als deine Einbildung.
    Kränke mich nicht.
    Verzeih, ein tausendfach Gekränkter kann gar nicht mehr wissen, wann er kränkt.
    Sie stand auf, ging (auf Zehenspitzen; sie konnte es schon gar nicht mehr anders) zur Tür.
    Hör her, sagte er, ich kann es auswendig, doch dann geh, ich will nicht, daß wir das neue Jahr mit Streit beginnen.

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