Härtling, Peter
dazu beigetragen. Schlegel habe zwar über Neuffers Almanach abwertend geurteilt, doch seine Gedichte gelobt. Er habe ihr die Kritik abgeschrieben.
Sie dankt ihm. Er fragt sie, wo sie seine Briefe und Zettel verberge.
Niemand kann sie finden, auch der Schlaueste nicht, beruhigt sie ihn.
Du mußt gehen. Sei vorsichtig.
Er legt die zusammengebundenen beiden Bände des »Hyperion« auf den Sekretär und bittet sie, erst wenn er fort sei, die Widmung zu lesen.
Auf das Vorsatzblatt hat er geschrieben: »Wem sonst als Dir!«
[ Menü ]
IV
Böhlendorff
Böhlendorff hatte sich bei Sinclair angekündigt, der Dichter, den Sinclair über Muhrbeck kennengelernt hatte und von dem er behauptete, er sei unter den freien Seelen eine der freiesten. Böhlendorff hatte vor, den Sommer in Homburg zu verbringen, und da er auch Muhrbeck und Hölderlin dort wisse, falle es ihm leicht, so weitgehend zu disponieren. Hölderlin kannte den jungen baltischen Dichter nur aus Schilderungen Sinclairs, die ihn freilich neugierig gemacht hatten. Er sei ein entschiedener Demokrat wie sie alle; seine Rastlosigkeit mitunter beängstigend. Sinclair hatte für Böhlendorff ein Logis in der Nachbarschaft Hölderlins gefunden, so daß sie sich, wann immer sie dazu aufgelegt waren, würden sehen können.
Sie verstanden sich gleich. Die Briefe beider lassen diesen Schluß zu.
Wenn ich mir Böhlendorff vorstelle, den Schattenriß betrachte, den es von ihm gibt, ein herb und stolz geschnittenes Profil, denke ich an Stäudlin, der schon nicht mehr am Leben ist, und ich bin sicher, daß sich auch Hölderlin des ruhelosen Stuttgarter Freundes erinnerte. Wie Stäudlin wird sich Böhlendorff, dem es nicht gelang, in seiner baltischen Heimat Fuß zu fassen, das Leben nehmen. Und in der Reinheit und Arglosigkeit seiner politischen Träume überbot Böhlendorff wahrscheinlich noch den Stuttgarter. Das zog Hölderlin brüderlich an.
Ich bin nicht sicher, ob er Böhlendorffs Dramen und Gedichten viel abgewann. Böhlendorff wollte viel, und man liest die Anstrengung seinen Versen ab, die sich dennochkonventionell fügen. Sein Talent war »forciert« wie das Stäudlins auch.
Sie waren schnell beim Du. Die ersten Tage saßen sie ununterbrochen zusammen, als hätten sie etwas nachzuholen. Allerdings wurde zu Hölderlins Mißfallen nur politisiert, Muhrbeck und Sinclair gaben, bis in die Einzelheiten, die Rastatter Erfahrungen wieder. Zu Widersprüchen kam es kaum, sie bestätigten sich gegenseitig, und Hölderlin, um den neuen Freund nicht vor den Kopf zu stoßen, ließ sich auf die oft zermürbenden Debatten ein. Böhlendorff spürte aber seinen inneren Widerstand. Als sie allein waren, fragte er ihn danach.
Hast du von der Politik genug, Friedrich? (Er nennt ihn Friedrich, nicht, wie die anderen, Hölder, und er bleibt dabei.) Fallen wir dir zur Last?
Aber nein, ich frage mich bloß, ob es Sinn hat, fortwährend darüber zu grübeln, ob das Direktorium richtig handelt oder nicht, ob Moreau oder Buonaparte geschickt operieren oder nicht, ob die Franzosen sich in Rastatt von den Österreichern übertölpeln lassen oder nicht. Das, Ulrich, können wir nicht ändern. Alle, über die wir uns den Kopf zerbrechen, nehmen unsere Gedanken nicht auf. Aber die Zeit läßt sich bewegen, die allgemeinere Stimmung ist beeinflußbar. Dazu braucht es zusammenfassende Sätze und keine Schlachtbeschreibungen.
Ich verstehe dich. Wir sind nicht so weit. Wir sind in den Tag verstrickt. Sieh dir Isaac an. Es ist seine Arbeit, diplomatische List ist seine tägliche Übung. Er handelt für den Landgrafen, muß es, und denkt wie dessen Gegner. Ist das einfach?
Ich könnte es nicht.
Ich auch nicht, Friedrich, ich versuche ihn zu verstehen.
Aber über die Ermordung der beiden französischen Gesandten in Rastatt hast du dich erregt wie keiner von uns. Ja, meine aber nur nicht, daß ich dem Kongreß nachtraure. Dort hat man den Frieden nicht finden können. Er war eine Farce und fürs Volk eine Zumutung. Doch diese beiden Männer sind vielleicht ohne ihr Wissen und ohne ihren Willen Märtyrer für den Sieg der Republikaner. Aus ihrem Geist sollten wir handeln.
Böhlendorff berichtete einem Schweizer Freund über seinen Homburger Aufenthalt, charakterisiert Sinclair und Hölderlin: »Ich habe hier einen Freund, der Republikaner mit Leib und Leben ist – auch einen andern Freund, der es im Geist und in der Wahrheit ist – die gewiß, wenn es Zeit ist, aus ihrem Dunkel hervorbrechen
Weitere Kostenlose Bücher