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Härtling, Peter

Härtling, Peter

Titel: Härtling, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hölderlin
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werden; der letzte ist Dr. Hölderlin …« Als Böhlendorff das schreibt, ist er vierundzwanzig Jahre alt. Und den Empfänger des Briefes hat Hölderlin vor Jahren kennengelernt und seither nicht mehr gesehen: Es ist Fellenberg, der Pädagoge und Gründer der Erziehungsanstalt in Hofwil bei Bern, dem Hölderlin in Tübingen, um sein Einkommen aufzubessern, Nachhilfestunden gegeben hatte. So tauchen manche Figuren, wenngleich am Rande, auf, und ich muß nicht, wie beim Romanschreiben, besorgt sein, sie aus dem Blick zu verlieren.
    Muhrbecks und Böhlendorffs aufgeregte Teilnahme an den Ereignissen in der Schweiz führte zu einer Kontroverse, die sie merkwürdig einigte. Beide hatten sich in der Schweiz aufgehalten, als die französischen Truppen einmarschierten und die Eidgenossenschaft sich aus eigenem Entschluß zur Republik erklärte. Sie sahen hier ein anfeuerndes Beispiel für die deutschen Länder und fürchteten, daß die Österreicher den großen Anfang zerschlagen könnten.
    Böhlendorff war nahe dran, sich zu den helvetischen Truppen zu melden. Sie alle ereiferten sich, und in diese, nicht zuletzt durch die widersprüchlichen Nachrichten gespannte Stimmung redete ein Brief Siegfried Schmids, des Friedbergers. Er habe seinen Dienst bei einem österreichischen Regiment aufgenommen, desgleichen ein anderer Freund, Jacob Zwilling.
    Böhlendorff wütete. Muhrbeck wollte mit den Verrätern nichts mehr zu tun haben. Sinclair hielt sich zurück. Und Hölderlin, der nicht weniger erschrocken und verbittert war als sie, entgegnete ihnen:
    Haben wir eigentlich Grund, mit ihnen zu rechten?
    Hölder, wie kannst du so nur fragen.
    Im Ernst, was maßen wir uns an?
    Sie wanderten, wie oft, auf den Feldwegen zwischen Homburg und Bonames, manchmal im Gänsemarsch, und wenn es der Weg zuließ, nebeneinander. Gingen sie hintereinander, mußten sie mit erhobener Stimme sprechen, schrien beinahe und machten auf andere den Eindruck, als befänden sie sich in einem dauerhaften, endlosen Streit.
    Wir verlangen von ihnen nichts als die Treue zur Sache.
    Zu welcher, Ulrich?
    Zu der unseren, der republikanischen.
    Ist die denn so einfach, wie du vorgibst, wie du sie machst? Wessen Anhänger bist du gewesen, als im Konvent noch alle vorhanden waren? Brissots oder Dantons? Hast du dich, als die beiden Gegner wurden, zerrissen? Sprichst du einem von den beiden jetzt ab, Republikaner gewesen zu sein? Oder Sinclair?
    Nicht mich, Hölder. Sinclair warnte noch scherzhaft. Doch! Gut, dein Fürst kennt deine Gesinnung. Er weiß, daß du Republikaner bist. Dennoch traut er dir. Weil dudie Pfründe deines Vaters übernommen hast? Weil ein Sinclair gar nicht anders als loyal sein kann?
    Laß es Hölder, ich bitte dich.
    Ihr laßt es auch nicht, über Schmid herzuziehen.
    Da ist der Gegensatz offener.
    Ob offen oder nicht. Die Widersprüche sind da.
    Hast du dich den Österreichern verpflichtet, Hölder?
    Ich würde es nie tun. Ich könnte ohnedies nicht Soldat sein. Das ist eine andere Sache. Aber denkt, ich bitte euch, an Isaac, den Republikaner des Landgrafen. Er ist an dem Gegensatz nicht erstickt. Laß mich ausreden, Isaac. Ich wäre der Letzte, der dich beleidigen wollte. So wenig, wie ich den Friedberger beleidigen möchte. Ich habe Schmid nach seinen Beweggründen nicht gefragt. Jetzt läßt er sich von der Zeit aushalten. Ist das nichts? Geht der Riß nicht durch jeden von uns? Wir leiden. Wenn Leid, wie ich meine, das Bewußtsein der Nöte ist, dann schließe ich Schmids Entschluß in mein Wissen ein, denke ihn mit. Allein so kann sichtbar werden, was die Epoche bedeutet.
    Ich geb ihm recht, rief Böhlendorff.
    Ich nicht! Sinclair lachte unwillig. Aber eigentlich ist unser Freund schon wieder bei seinem »Empedokles«, und die Gedanken, die ihn dort weiterbringen, will ich ihm nicht ausreden.
    Hölderlin hatte mittlerweile die erste Fassung aufgegeben, schrieb an der zweiten und zweifelte daran, ob sie ihm genügen könnte.
    »… mich erheitert nichts so sehr«, schreibt er an Karl, die Gespräche mit den Freunden nur fortsetzend, »als zu einer Menschenseele sagen zu können: ich glaub an Dich! und wenn mich das Unreine, Dürftige der Menschen oft mehr stört, als notwendig wäre, so fühl ich mich auch vielleichtglücklicher als andre, wenn ich das Gute, Wahre, Reine im Leben finde, und ich darf deswegen die Natur nicht anklagen, die mir den Sinn fürs Mangelhafte schärfte, um mich das Treffliche umso inniger und freudiger erkennen

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