Härtling, Peter
zu lassen, und bin ich nur einmal so weit, daß ich zur Fertigkeit gebracht habe, im Mangelhaften weniger den unbestimmten Schmerz, den es oft mir macht, als genau seinen eigentümlichen augenblicklichen, besondern Mangel zu fühlen und zu sehen, und so auch im Bessern seine eigene Schönheit, sein charakteristisches Gute zu erkennen, und weniger bei einer allgemeinen Empfindung stehen zu bleiben, hab ich dies einmal gewonnen, so wird mein Gemüt mehr Ruhe, und meine Tätigkeit einen stetigeren Fortgang finden.«
Böhlendorff war auf die Idee gekommen, Hölderlin solle eine Zeitschrift herausgeben, eine poetische Monatsschrift. Er sei sicher, daß ihm auch die Großen ihre Mitarbeit nicht versagen würden. Die Freunde hatten, nachdem Muhrbeck über seine miserable Finanzlage geklagt hatte, über Hölderlins Situation gesprochen. Ihm gehe es gewiß schlechter als Muhrbeck. Seine Rücklagen aus der Frankfurter Arbeit seien bald aufgezehrt, und die Mutter wolle er nicht um Hilfe angehen. Wenn Sinclair nicht ab und zu einspränge … Böhlendorffs Vorschlag berauschte sie geradezu. Jeder könnte seinen Teil beisteuern. Aber keiner wäre ein geeigneterer Herausgeber als der Hölder! Er wehrte ab: Er wolle es überschlafen. Aber er hatte sich schon entschlossen. Gelänge es ihm, einen Verlag und wichtige Mitarbeiter für die Zeitschrift zu finden, so könnte er länger in Homburg und in der Nähe Susettes bleiben. Dies war eine Gelegenheit, vielleicht die letzte. Und erwußte auch schon, wer ihm helfen könnte: Neuffer, der bei dem Stuttgarter Verleger Steinkopf seine Almanache veröffentlichte. Er könnte die Verbindung herstellen; also schrieb er ihm gleich, legte den Plan dar: »Das Journal wird wenigstens zur Hälfte wirklich ausübende Poesie enthalten, die übrigen Aufsätze werden in die Geschichte und Beurteilung der Kunst einschlagen.«
Endlich hat er wieder Auftrieb, die Ängste vor der Zukunft sind verflogen und in den folgenden Sitzungen schreiben sie Listen von Autoren und Themen, erhitzen sich über Bücher, die besprochen werden könnten, grübeln über den Namen der Zeitschrift, die sich vor allem an Damen wenden solle. Sinclair dachte an »Hebe«, Muhrbeck schlug »Symposium« vor, doch das erschien ihnen zu trocken, allzu männlich, und Hölderlins Vorschlag »Iduna« fand erst allmählich Zustimmung.
Er überredete sie mehr, als daß er sie überzeugte. Herder erzähle von Iduna, der Gemahlin des Gottes der Dichtkunst. Ihr hätten die Götter die Äpfel der Unsterblichkeit anvertraut, und fühlten sie das Alter nahen, kämen sie zu ihr, äßen von den Früchten und verjüngten sich. Man sollte Herders Erzählung als Motto verwenden.
Und als der Stuttgarter Verleger Steinkopf, wenn auch halbherzig, zustimmte, sich freilich eine populäre und mit Berühmtheiten glänzende Schrift wünschte, sah Hölderlin sich schon als Herausgeber. Nur Sinclair mahnte, nicht voreilig zu handeln. Doch Hölderlin hatte es eilig, alle, die oft an ihm haben zweifeln müssen, die Mutter, den Bruder, über diese Wende zu unterrichten. Er wird fünfzig Karolin fürs Jahr bekommen, fünfhundertfünfzig Gulden, das wird ihm ausreichen. Bald hat er auch die erste Liste der Beiträger: Conz, Jung (dessen Ossian-Übersetzung). Und zuJung, dem einstigen Hofrat, der inzwischen Polizeikommissar in Mainz geworden ist, reist er auch. Der Besuch bei Jung könnte ihm Gelegenheit geben, sich in der Mainzer Republik umzusehen, die ihm mehr und mehr zu einem Vorbild für ein neues Gemeinwesen geworden ist. Dazu kommt es nicht. Jung, umgeben von Wachen und Boten, undurchschaubaren Zuträgern und devoten Schreibern, nimmt ihn in Beschlag. Er liest wieder aus dem »Ossian« vor, den Hölderlin schon gut kennt, preist sein Glück, in einer solchen Umgebung zum ersten Mal literarisch auftreten zu können, flüstert zwischendurch über irgendwelche Marodeure und Agenten, die er verfolgen müsse und die ihm nach dem Leben trachteten, zeigt einen Brief, in dem Fichte um einen republikanischen Paß bittet, da er durch das Gebiet der Fränkischen Republik in die Schweiz reisen wolle. Das macht mir keine Schwierigkeiten, sagt Jung, das nicht, aber hören Sie nur, wie Fichte sich bekennt, das sollte verbreitet werden: »Wohl aber hat durch die Greueltat zu Rastatt sich meine Ansicht der Dinge völlig umgeändert. Der Despotismus wird nun konsequent. Er hat sich … in die absolute Notwendigkeit versetzt, jede Äußerung der Vernunft und des Gefühls
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