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Härtling, Peter

Härtling, Peter

Titel: Härtling, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hölderlin
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dieser etwas mostige Duft der im Keller gelagerten Äpfel; oder die vom Waschen offenen Hände der Großmutter, lauter vom Blut unterlaufene Risse; er steht, klein geworden, neben dem hohen Bett, in dem der Vater stirbt, der zweite Vater, und er kehrt zurück bis in denLauffener Garten, den er nicht sieht, sondern nur denkt: wie eine Umhüllung von Licht und Schatten, das Rauschen sehr hoher Bäume und die Geräusche aus dem Dorf; Wärme und Ruhe. Es könnte auch der Grasgarten sein. »Und ich denke zurück an längst vergangene Tage, / Und die Heimat erfreut wieder mein einsam Gemüt, / Und das Haus, wo ich einst bei deinen Segnungen aufwuchs, / Wo, von Liebe genährt, schneller der Knabe gedieh.«
    Er schreibt Sinclair, den er vermißt, die Rastatter Themen aufgreifend: »Es ist auch gut, und sogar die erste Bedingung des Lebens und aller Organisation, daß keine Kraft monarchisch ist im Himmel und auf Erden. Die absolute Monarchie hebt sich überall selbst auf, denn sie ist objektlos …« Ob sie das weiterbereden, ob er Muhrbeck damit überzeugen könnte?
    »Ich habe sehr an Glauben und Mut gewonnen.«
    Durch den Schnee wandert er zum Adlerflychtschen Hof. Ihm fremde Männer stehen vor dem Portal, streiten sich offenbar. Er bleibt an der Hecke, neben der Laube stehen, sieht zum Fenster hinauf, hinter dem er lebte, einer der Männer fragt ihn, ob er jemanden suche, er schüttelt den Kopf, nein, nein, das Anwesen gefalle ihm, der verschneite Garten. Sie sollten es im Sommer erleben, sagt der Mann. Ja, sagt er, es muß dann besonders schön hier sein, ich kann es mir denken.
    Er nimmt sich vor, sich in diesem Jahr zu beschränken, oder wenigstens nur das zu planen, was seine Sicherheit fördert.
    Sinclair bringt aus Rastatt Muhrbeck mit. Beide stecken voller Anekdoten, wiegeln ihn auf, setzen die Unterhaltungen aus dem »Bären« ohne Unterbrechung fort.
    Ob er Rebmanns unerhörte Schelte des Direktoriums gelesen habe?
    Muhrbeck war Feuer und Flamme. Welch eine edle, die Gemeinheiten ausräumende Gesinnung! Hör nur zu: »Bald kam es so weit, daß der Name eines Republikaners zum Schimpfwort, der Bürgertitel zum Ekelnamen, Gefühl fürs Vaterland zur Schande, Lob der Ausgewanderten zur Mode und die Krieger, die die Freiheit mit ihrem Blute erkämpft hatten, wie Elende behandelt wurden. Die Lieder, welche die Söhne der Freiheit unüberwindlich gemacht und die verbündeten Heerscharen aller europäischen Tyrannen in die Flucht gejagt hatten, durften nicht mehr gesungen werden, ohne daß der, welcher sie anstimmte, sich Beleidigungen aussetzte. Ein neues, furchtbares Schreckenssystem wurde gegen alle gebraucht, die ihr Vaterland liebten.«
    Stimmt es denn nicht? Muhrbeck ereiferte sich. Sinclair fand diese Charakterisierung übertrieben, aber Hölderlin, der sich in ihren Auseinandersetzungen zurückgehalten hatte, fuhr ihn heftig an: Das ist mir zu diplomatisch, Isaac. Muhrbeck hat recht, wenn er sich mit Rebmanns Trauer verbündet. Sie könnte, sie müßte zur rächenden Wut werden. In der Revolution gibt es nur Rigorismus. Wer abschwächt, hat schon verloren. Wer meint, Grau könne auch Weiß werden, irrt sich fürs Leben.
    Muhrbeck jubelte. So wolle er es hören. Sinclair, in seiner Empfindlichkeit getroffen, wies ihn und Hölderlin zurecht: Meinetwegen könnt ihr mich einen Diplomaten schimpfen. Doch euer Purismus bringt nichts ein, allenfalls unnötige und unschuldige Opfer.
    Und jetzt? Hölderlins Melancholie verwirrte sie beide.
    Bist du dir denn so sicher? fragte Sinclair.
    Wäre ich der Engel der Geschichte, wüßte ich’s.
    Susette, die sich, wie er, gefangen hat, seine fragenden Zärtlichkeiten fast begehrlich erwidert, sich gelassen über die Gefahren ihres Rendezvous hinwegsetzt, über mögliche Horcher spottet, heiter ist wie nie seit seinem Weggang, Susette verspricht ihm, daß man sich im Sommer an der Hecke des Adlerflychtschen Hofs häufiger treffen, Briefe austauschen könne.
    Er unterläßt es, sich über die Heimlichkeiten zu beklagen. Grüß deinen Sinclair. Dir ist wohl, Lieber, nicht wahr?
    Er sagt ihr nichts von der kurzen, heftigen Krankheit, die ihm derart zugesetzt hatte, daß es auch Sinclair und Muhrbeck nicht gelungen war, ihn zu trösten. Der von Sinclair geschickte Doktor Müller sprach von einer Gallenkolik, mehr aber von Hypochondrien. Er habe eine überaus empfindliche Konstitution und müsse sich vor Aufregungen hüten.
    Mir geht es wohl. Schlegels Kritik seiner Gedichte habe

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